Am nördlichen Stadtrand Berns, dort, wo die Aare eine fahrige Schlaufe macht, als würde sie einen Verfolger abhängen wollen, liegt das Zehendermätteli im Glück. Im Glück ist der unter Berner*innen als Geheimtipp gehandelte Ort tatsächlich, denn er wurde unlängst aus seinem Dornröschenschlossdasein katapultiert und hat seither eine prächtige Renaissance erlebt. Die Burgergemeinde Bern, Eigentümerin der idyllisch gelegenen Liegenschaft, nahm einen Pächterwechsel zum Anlass, das von der Denkmalpflege als beachtenswert eingestufte Gasthaus mit Ökonomieteil einer dringend notwendigen Gesamtsanierung zu unterziehen. «Die Substanz war in schlechtem Zustand und provisorische Anlagen und Bauten verstellten das Haupthaus und den Ökonomieteil, dessen Tenndurchfahrt ebenfalls blockiert war», blickt Tom Flückiger, projektleitender Architekt von Umbra Architektur, zurück.
«Teile der Fassade waren fast komplett zugewachsen.»
Die Bauherrschaft und das Architektenteam waren sich einig, dass das äussere Erscheinungsbild in seinen charakteristischen Ursprungszustand rückzuführen sei und von innen heraus saniert werden soll. Entsprechend ist der gesamte Ausbau des Restaurantinterieurs neu und als zeitgemässe Interpretation einer klassischen Gaststube gestaltet. Neben der Erneuerung der Haustechnik und der Gastroküche, einer neuen Ausschenk-Theke, von der man direkt nach aussen bedient, und der Sanierung und Reorganisation der Dachwohnung wurde das Ökonomiegebäude mit seiner grossen Tenndurchfahrt wieder freigespielt und aktiviert. Ein Ersatzneubau aus Sicherheitsglas trat anstelle des alten Gewächshauses und bietet zudem Raum für Events und Festanlässe. «Der Ort für sich ist ein Kraftort; es ist alles da, man musste nichts hinzuzaubern», so Tom Flückiger. «Ausserdem haben die neuen Betreiber genug Dampf.»
«Der Ursprung des Zehendermättelis liegt im Jahr 1656.»
Dampf braucht das Pächterpaar Simon und Anna Tauber, das den Betrieb seit 2020 in Co-Leitung mit dem Sozialpädagogen Marcel Geissbühler führt. Denn neben dem Gastrobetrieb sind vier Hektaren Land zu bewirtschaften. Tatkräftige Unterstützung erhalten sie von gesellschaftlich benachteiligten Menschen – Langzeitarbeitslosen oder Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund. Das produzierte Gemüse und Obst, die Beeren und Blumen kommen im Restaurant auf den Tisch oder können direkt ab Hof gekauft werden. «Die Doppelfunktion mit Gastgewerbe und Landwirtschaftsbetrieb besteht seit mehr als 200 Jahren», erklärt Reto Wirz, Projektleiter der Burgergemeinde Bern. Der Ursprung des Zehendermättelis liegt im Jahr 1656, als dem städtischen Holzwerkmeister auf der Halbinsel ein Stück Land, das «Hölzernwerkmeister Mätteli», zum Bebauen abgesteckt wurde; um 1800 war ein Bauernhaus mit Nebengebäude auf zwei Hektaren Land verzeichnet und 1814 wurde das Haupthaus schliesslich in eine Gastwirtschaft umgebaut. Heute steht das Zehendermätteli im Glück für einen Ort, der für alle etwas zu bieten hat: für Ruhesuchende, Spaziergänger, Entdeckerinnen, Geniesser, Böötler, Feiernde. Das tatkräftige Betreiber*innenteam, die engagierte Eigentümerin und das Architekturbüro dürfen sich demnach getrost als Glücksbringer sehen.