Jenseits der Norm

Denkmalschutz

Kritiker:innen werfen der Denkmalpflege oft Stillstand vor. Sie verhindere Bauprojekte und somit Fortschritt, sei rückwärtsgewandt und verunmögliche zeitgemässes Wohnen in alten Gebäuden respektive Ersatzneubauten.

Wer sich jedoch auf die Zusammenarbeit mit den Bauberater:innen und auf den gemeinsamen Prozess einlässt, wird nicht nur von dem grossen Wissensschatz der Expert:innen profitieren, sondern darüber hinaus ein Zuhause erhalten, das seine Kraft aus der Geschichte bezieht, Alt und Neu verbindet und ganz sicher einzigartig ist. So wie dieses Rebhaus in Schernelz.

Die Fassade des Rebhauses aus dem 16. Jahrhundert wurde kaum verändert, abgesehen von der neuen Lukarne ein typisches Merkmal der Häuser in dieser Region.

Ein Fenster zum Wohnzimmer lässt Licht ins Treppenhaus einfallen. Der Durchblick zeigt zudem die Krümmung der rechten Aussenwand, die den Grundriss trapezförmig macht.

Das Bild des neu ausgebauten, noch unmöblierten Obergeschosses zeigt die Dimensionen des multifunktionalen Kubus, der eine Küche, eine Dusche, ein WC und sogar eine Schlafgelegenheit umfasst. 

Zusammenarbeit mit Denkmalschutz

Umbra Architektur haben dieses ehemalige Rebhaus in Schernelz, das im Kern im 16. Jahrhundert entstanden ist, renoviert, um eine Gaube ergänzt und das Dachgeschoss in ein hochwertiges Atelier verwandelt. Der Bauherr Peter Solomon hat schon oft in alten Gebäuden gelebt und ging deshalb selbst auf die Denkmalpflege zu, um in Erfahrung zu bringen, was am Haus überhaupt verändert werden durfte. «Das ist schon eher ungewöhnlich, dass sich die Bauherrschaft direkt mit der Denkmalpflege in Verbindung setzt. Aber es war schön, mit jemandem zu arbeiten, der eine Affinität für historische Gebäude hat», erzählt Architekt Peter Trachsel von Umbra Architektur.

Über die Denkmalpflege kam es überhaupt zur Zusammenarbeit mit Trachsel, denn diese wusste, dass er vor Kurzem bereits ein Rebhaus in Ligerz saniert hatte. Das beinahe 500 Jahre alte Haus, Teil einer historischen Häuserzeile, ist Zeuge einer langen Geschichte. Früher gehörten die Weinberge am Bielersee Grossgrundbesitzern aus Bern, das mittlere Geschoss dieser Häuser wurde nur im Herbst zur Überwachung der Weinlese bewohnt.

Materialien wiederverwendet

Später konnten es die Arbeiter der Rebberge erwerben, sie lebten nun ganzjährig dort, im Untergeschoss war die eine oder andere Kuh untergebracht. Zuletzt wurde das Rebhaus von der Besitzerin als Ferienhaus genutzt und nur im mittleren Geschoss beheizt und bewohnt, eine Zentralheizung gab es vor dem Umbau nicht. Die neuen Eingriffe sollten das Wesen des Bestandes stärken und fremde, später eingebaute Elemente wie die Mansarde wieder rückgebaut werden.

«Man kann nicht gegen, sondern muss mit dem Haus arbeiten», so Architekt Peter Trachsel. Gerade deshalb beschränkten sich die beim Umbau verwendeten Materialien auf das bereits Vorgefundene: Der Kalkputz wurde wo nötig ergänzt, das Mauerwerk aus Jurakalk- und Neuenburger Steinen belassen, neue Holzarbeiten wurden in Altholz ausgeführt, das von einem alten Bauernhaus aus dem Simmental stammt.

Beim zweiten Projekt handelt es sich um eines der ältesten Holzhäuser der Schweiz. Unter Federführung der Architektin Mireya Heredero und der Kantonalen Denkmalpflege Aargau ist das Gebäude renoviert und wieder bewohnbar gemacht worden.

Das Haus war aufgrund von Setzungen etwas in Schieflage gelangt. Hinter dem neuen Schindelschirm verbergen sich heute Dreischichtplatten, die die Stabilisation gewährleisten. 

Das Haus ist an ein Fernwörmenetz angeschlossen. Unterstützend kann der alte Kachelofen eingeheizt werden. 

Architektin Mireya Heredero entwarf einen schlichten Innenausbau aus hellem Fichtenholz, der in spannendem Kontrast zu den alten, dunklen Oberflächen steht. 

Bauarchäologische Untersuchung durchgeführt

Dass sich der geplante Umbau des alten Holzhauses zunehmend zu einem Restaurierungsprojekt entwickelte, war zu Beginn nicht nur eine positive Überraschung. «Viele aus dem Neubau bekannte Abläufe konnten hier nicht angewendet werden», erläutert Architektin Mireya Heredero und beschreibt den Bauablauf rückblickend vielmehr als rollende Planung.

Zwar wusste die damalige Eigentümerschaft und Entwicklerin der Immobilie, Feldmann Projekte, dass im Inventarobjekt historisch wertvolle Bausubstanz vermutet wurde. Die tatsächliche Bedeutung konnte aber erst im Zuge des Baubewilligungsverfahrens genau geklärt werden, wozu die Kantonsarchäologie begleitend zu ersten Freilegungsarbeiten im Haus eine bauarchäologische Untersuchung durchführte.

Die dabei gemachten Entdeckungen waren dann derart sensationell, dass es in der Ausführungsplanung nochmal auf Feld eins ging. Die wertvolle Bausubstanz zu bewahren, wurde zur Prämisse. Für den Umgang mit dem historischen Bestand mussten neue Entscheidungsprozesse entwickelt werden, um sensitive, denkmalgerechte Massnahmen und die Anliegen der Eigentümer unter einen Hut zu bringen. Zur wichtigen Schnittstelle entwickelte sich die wöchentliche Bausitzung, bei der man effizient auf die laufend auftauchenden Elemente und neuen Fragestellungen reagieren konnte. 

Nach Hause kommen

Am glücklichsten über das Projekt scheint Jennifer Kossow, die heutige Eigentümerin, zu sein. Nach der Fertigstellung wurde das Haus zum Kauf ausgeschrieben, und sie unterschrieb direkt nach der Begehung den Kaufvertrag. Ihre Wertschätzung und Begeisterung für das Haus sind ein Glücksfall.

Auch wenn es kleiner und einfacher sei als ihr vorheriger Wohnraum, habe es sich vom ersten Moment an wie ein Nachhausekommen angefühlt, sagt die Innenarchitektin, die mit grossem Respekt eine sorgfältig auf die historischen Räume abgestimmte Möblierung und ein Lichtkonzept zusammenstellte und dem Haus so den letzten Schliff gab.