Lustvoll Architektur leben

Porträt: atelier tau

Beinahe wäre ich vorbeigegangen. Die Tür ist zwar für den Kreis 4 nicht ungewöhnlich – eingedeckt mit Kritzeleien –, aber der Blick durchs Schaufenster auf die für eine Metzgerei typischen weissen Fliesen erinnern auf Anhieb nicht an ein Architekturbüro. Tatsächlich war hier früher eine Metzgerei, wie ich von Anouk Schepens und Nicole Würth erfahre. Die beiden Architektinnen von atelier tau teilen sich die mittlerweile gemütlichen Räumlichkeiten mit zwei visuellen Gestalterinnen. Die unaufgeregte Atmosphäre und das Kollektiv passen: Relativ entspannt sind die beiden Architektinnen ihre Zusammenarbeit und Selbstständigkeit angegangen, und die Auseinandersetzung und der Austausch mit anderen Disziplinen inspiriert sie. «Wir schätzen die Herausforderung, unterschiedliche Themen zusammenzubringen, was uns auch erlaubt, zukünftige Entwicklungen nachhaltig mitzugestalten.»

Die zwei Architektinnen Anouk Schepens (steht links) und Nicole Würth stehen vor dem Eingang ihres Büros im Kreis 4. Auf der Tür sind Graffitis und Kritzeleien zu sehen.

Anouk Schepens (links) und Nicole Würth sind atelier tau.

Die Frage, welche Lösung für Nutzer*innen wirklich eine Weiterentwicklung ist, und zwar die beste, reizt die Architektinnen mehr als das fixe Programm eines Wettbewerbs. Sie möchten wagen können... Dass sie damit riskieren, einen Wettbewerb oder eine Bauherrschaft nicht zu gewinnen, ist ihnen bewusst. Trotzdem behalten sie sich vor zu wählen, mit welchen Themen sie sich auseinandersetzen, mit welcher Arbeitsweise und in welchem Tempo. «Unsere Arbeit soll inspirieren und Freude machen.»

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Richtig kennengelernt haben sich Nicole Würth und Anouk Schepens nicht beim Studium an der ETH Zürich, sondern auf einem Schloss in Nordschottland, als sie einer Freundin bei der Renovation aushalfen. Die gemeinsame Reise begann 2019 mit einem Wettbewerb, 2020 gründeten sie atelier tau. Ihr beider Interesse an der Architektur wurzelt in dem grossen Themenspektrum, das sie umfasst, und darin, dass sie die Gesellschaft auf ihre Art und Weise widerspiegelt.

 

Was bringt das Projekt mit, wo liegt sein Potenzial, und was können sie einbringen, um eine positive Entwicklung zu gestalten. Mit diesen Fragen arbeiten Anouk Schepens und Nicole Würth von atelier tau, wobei die Freude am Tun nie fehlen darf.

 

 

Anstelle der früher offenen Erschliessung strukturiert nun eine Wand mit integriertem Regal und Sitzbank das offene Erdgeschoss. Dahinter liegt der Kern mit neuem WC, Garderobe, Reduit und Einbauschränken. Links ist die neue Stahlküche. Ein heller Gussboden wirkt als Verbindung aller Bereiche. (Umbau Wohnhaus Im Walder)

Farbigkeit wird in dem hell gehaltenen Haus über die Materialität erreicht. Hier im WC sind es ein irischer Marmor und Eichenholz. (Umbau Wohnhaus Im Walder)

Mit gezielten Eingriffen konnten Licht und Grosszügigkeit in die Wohnung geholt werden. Etwa mit einer verspiegelten Schranktür, die, zur anderen Seite bewegt, zur Badezimmertür wird. (Umbau Zum wilden Mann)

Mit akzentuierten «Farboasen» und bewusster Gestaltung von Atmosphäre wurde die klassische Zimmeraufteilung der Wohnung weiterentwickelt. (Umbau Zum wilden Mann)

Dies spiegelt sich auch in den Projekten der beiden Architektinnen wider. Eine Eigentumswohnung in einem Mehrfamilienhaus in Richterswil (Projekt Zum wilden Mann) befreiten sie vom 1970er- Jahre-Kleid, indem sie die teils niedrigen und dunklen Räume mit Spiegeloberflächen ins Licht zerrten und ihnen neue Atmosphären verliehen. Die klassische Zimmeraufteilung der Wohnung fechten atelier tau nicht an, sondern entwickeln sie durch bewusstes Gestalten und Akzentuieren unterschiedlicher Zonen mit Farben weiter. Farben gibt es auch bei ihrem aktuellen Umbauprojekt (Umbau Wohnhaus Im Walder), einem Einfamilienhaus innerhalb einer Genossenschaftssiedlung von 1993, hier in Form der Materialfarbigkeit. Damit fügen die Architektinnen dem Gedanken des Modernen Wohnens, der Entmaterialisierung und damit den durchgehend hellen Räumen ein neues Thema hinzu. Den grosszügigen Grundriss veränderten die Architektinnen kaum, justierten aber das Wohngefühl durch das Einziehen einer Trennwand, und mit der Reorganisation der Gäste-WC- und Garderobensituation, wodurch der Eingangsbereich klarer definiert wird und ein zuvor als Durchgangszone «verkommener» Raum an Stärke gewinnt. «Wir haben uns darauf konzentriert, was der Grundriss, das Haus wirklich will.» Sie entwickeln alles gemeinsam, «weil uns die Qualitätssicherung durch das Diskutieren von Lösungen und das Testen von Konzepten, die Inputs von beiden Seiten wichtig sind.» Ebenso wichtig ist ihnen, auch in Zukunft Neues zu testen, zu lernen, zu wagen.

 

Eine Auswahl ihrer Bauten & Projekte:

  • Umbau Wohnhaus «Im Walder», Zürich, 2022
  • Umbau Wohnung ehemaliges Hotel Meyerhof, Hospental, 2021
  • Umbau Wohnung «Zum Wilden Mann», ARGE mit Janina Zollinger, Richterswil, 2021
  • Selektiver Projektwettbewerb «Sanierung und Erweiterung Bürgerheim Appenzell», Einladung für 2. Stufe, 2023
  • Studienauftrag Neubau Schulanlage, Andwi l-Arneg g, 2022
  • Ideenwettbewerb Erneuerung Textilmuseum, St. Gallen, 2020
  • Wettbewerb Umbau Hochbergerstrasse 158, Basel, 2020
  • Wettbewerb Dreifachkindergarten und Tagesbetreuung, St. Gallen, 2020
  • Wettbewerb Neubau Timeabu Kindergarten, Ghana
Titelbild/Cover der Ausgabe UMBAUEN+RENOVIEREN 2/23

Diesen und weitere spannende Artikel finden Sie in der Ausgabe 2/23 der Zeitschrift Umbauen+Renovieren. Titelbild: Bruno Helbling