
Ginny Litscher wohnt umgeben von ihren Gemälden.
Betritt man die Wohnung von Ginny Litscher im Zürcher Kreis 4, so wird man sofort vom Geruch von Farbe umhüllt. Überall hängen ihre Bilder, überall wird gearbeitet. So zum Beispiel auch vor dem Eingang zum Wohnzimmer – Ginny schiebt eine grosse Leinwand zur Seite, damit ich eintreten kann. Hierhin lädt die Zürcher Künstlerin auch gerne Kund:innen ein, denn so versteht man ihre Welt voller leuchtender Farben und Fabelwesen mit funkelnden Augen sofort. Im Interview erzählt sie, wie sie mit der Malerei begonnen hat, woher ihre Inspiration kommt und was sie zum Bereich Interior-Gestaltung hingezogen hat.
Wie bist du zur Malerei gekommen?
Ginny Litscher: Ich habe bereits als Kind immer gemalt und gezeichnet, auch meine ganze Freizeit war damit völlig ausgelastet. Meine Eltern haben bald bemerkt, dass es das Einzige ist, das mich richtig interessiert. Ich wollte auch in diese Richtung studieren, deshalb ging ich ab zwölf an die Kunst- und Sportschule. Man muss zudem sagen: Mein Vater ist Architekt, meine Mutter Kunstmalerin, also hatten wir zuhause ein Atelier, wo man sich ausbreiten konnte, wo es viele Farben gab – es war wie ein kleines Paradies, zu dem ich immer Zugang hatte.
Was hat deinen Stil geprägt?
GL: Lange habe ich in meiner eigenen Welt kreiert, meine Mutter hat mich auch bewusst von Einflüssen von aussen abgeschirmt. Aber als ich mein Studium in Textildesign in Luzern begann, war ich plötzlich umgeben von anderen Künstler:innen, da gab es natürlich viel Austausch. Meine erste grosse Liebe war Egon Schiele. Ich habe seine Werke in einer Ausstellung in Barcelona gesehen, die haben mich richtig begeistert. Ich bin auch sehr inspiriert von den alten Meistern, Rubens ist einer meiner Lieblingskünstler, oder Degas. Auch Jenny Saville ist jemand, der die alten Meister aufgreift und ihre eigene Interpretation davon macht.
Wie wählst du deine Motive?
GL: Ich träume von Dingen, sehe Details im Alltag, die zu einem Thema passen, es kann in einem Museum oder einem Gespräch mit einer Kollegin plötzlich etwas auftauchen – mein Kopf ist immer eingeschaltet und bereit für Informationen. Schlussendlich habe ich endgültige Bilder im Kopf, bevor ich zu malen beginne. Ich spüre intuitiv, welche Themen gerade am relevantesten sind – das äussert sich manchmal als ein Kribbeln im Körper oder auch einfach als ein Gefühl, dass ich eine Idee sofort umsetzen muss.
Also ist es ein Bauchgefühl, für welches Motiv du dich schlussendlich entscheidest?
GL: Ja, und oft während dem Arbeitsprozess wird dann klar, um welche Themen es wirklich geht. Es schwingt auch viel Unterbewusstes mit, Dinge, die man selbst gerade verarbeitet. Am Schluss, wenn ich ein Bild anschaue, dann entwickle ich oft nochmals ein neues Verständnis dafür.
Wo beginnst du mit einem Bild?
GL: Wenn es etwas Lebendiges auf dem Bild gibt, dann beginne ich immer mit den Augen. Es ist das ausdrucksstärkste Element und verleiht einem Bild Charakter. Danach arbeite ich darum herum.
Wann ist es fertig?
GL: Ich spüre einfach, wenn ein Bild fertig ist, bis zu diesem Moment macht es nicht «Klick». Anders gesagt, es ist dann fertig, wenn ich es anschaue und mich nichts mehr irritiert oder den Blick auf sich zieht, wenn eine Harmonie im ganzen Bild entstanden ist. Manchmal gibt es lange Phasen, in denen es fast da ist, aber dann überarbeite ich doch nochmal ein Detail.
«Wenn es etwas Lebendiges auf dem Bild gibt, dann beginne ich immer mit den Augen. Es ist das ausdrucksstärkste Element und verleiht einem Bild Charakter.»
Wie lange arbeitest du normalerweise an einem Gemälde?
GL: Der Schnitt ist drei bis vier Monate. Das längste war bisher fünf Jahre. Ich habe das Bild zwischendurch immer wieder weggestellt, damit ich es mit frischen Augen anschauen und mir Gedanken zum nächsten Schritt machen konnte. Es kann sogar sein, dass ich ein Bild nach vier Jahren wieder anschaue und dann nochmals etwas daran mache, weil es sich doch noch nicht fertig anfühlt.
Mit welchen Materialien arbeitest du?
GL: Mein Lieblingsmedium ist Tusche, aber auch mit Ölfarben arbeite ich gerade sehr gerne – die haben schöne, brillante Farben. Ich benutze auch Schminkutensilien, oder Farbstifte, Filzstifte, Kreide oder Wasserfarbe. Meistens auf Leinwand, kleinere Dinge auch auf Papier.

Studiert hat Ginny ursprünglich Textildesign.

Ihre Schalkollektion beschreibt sie gleichzeitig als klassisch und eigenwillig.
Wie bist du zum Textildesign gekommen?
GL: Meine Eltern haben mich mitgenommen an den Tag der Offenen Tür der Textildesignabteilung in Luzern. In meiner Vorstellung wurde da gewoben und gestrickt, ich fand das eigentlich langweilig. Aber dann hat es mir richtig den Ärmel reingezogen. Es gab damals eine gute Studiengangleitung, die das Fach sehr experimentell und kreativ gestaltet hat. Ich habe Arbeiten gesehen, die mich nicht mehr losgelassen haben, deshalb habe ich mich für den Studiengang beworben und bin aufgenommen worden. Im Studium wurde mir klar, dass ich meinen eigenen Stil auch für Textildesign einsetzen konnte, dass das kein Widerspruch ist.
Du hast deine eigene Schalkollektion – wie würdest du sie beschreiben?
GL: Wie bei der Malerei ist sie angelehnt an gewisse barocke Muster, die ich neu interpretiere. Die Designs haben etwas Klassisches, und doch auch etwas Eigenwilliges. Zudem sind immer kleine Geschichten in den Designs versteckt, die man für sich selbst entdecken kann.
Wie ist es zu deinem ersten Projekt im Interior-Bereich gekommen?
GL: Nach der Ausbildung im Saint Martins in London habe ich die Schalkollektion gemacht und mich lange darauf fokussiert. Schals sind ein einfacher Schnitt und man kann sich mit den Designs gut kreativ ausleben. Nach einigen Jahren merkte ich, dass ich Lust auf etwas Neues hatte. Ich fühlte mich zur Inneneinrichtung hingezogen, deshalb habe ich mich bei Zara Home als Designerin beworben. Ich fand es auch spannend, mal einen Einblick in die Abläufe einer grösseren Firma zu erhalten. Als ich die Stelle bekam, ging ich nach Spanien, um für sie zu arbeiten. Schon dann war für mich aber klar, dass ich eine eigene Linie für den Innenbereich herausbringen möchte. Deshalb kam ich zurück nach Zürich, wo mich eine Freundin für die Gestaltung des Ooki Restaurants vorschlug. Sie haben dann meine erste Tapete für das Bad des Restaurants verwendet.
Was hat dich zum Interior-Bereich hingezogen?
GL: Mich hat daran gereizt, dass man Welten kreieren kann, die die Leute inspirieren. Es geht mir darum, einen Raum zu gestalten, der ein gewisses Gefühl auslöst. Bei Inneneinrichtung kann man das noch intensiver ausleben als bei Textil, denn Gäste oder Bewohner:innen betreten diese Welt wortwörtlich. Deshalb finde ich ganze Raumgestaltungen etwas sehr Faszinierendes.
Was ist dein Lieblingsprojekt, das du bisher umsetzen durftest?
GL: Als ich für das Grand Resort Bad Ragaz ein Zimmer einrichten durfte. Sie verkaufen auch meine Bademode im Spa, ich hatte eine Modeschau dort mit meinen Designs, und auch meine Bilder wurden ausgestellt und hängen immer noch im Restaurant. Solche Geschichten finde ich schön, wo sich die verschiedenen Bereiche ergänzen.
Wo sieht man deine Tapeten aktuell?
GL: Zum Beispiel im Restaurant Bella Vista im neu eröffneten Globus am Bellevue Zürich. Der Inhaber ist ein Privatkunde von mir, er hat meine Tapeten bei sich zuhause und ich habe auch schon Weinetiketten für ihn gestaltet. Ich hatte ein Bild mit Tigern, die an einem Fluss trinken und sich im Wasser spiegeln. Für das Restaurant dachte ich mir die Geschichte aus, dass die Weinflaschen im Fluss ausleeren und die Tiger davon trinken, also habe ich das Bild nochmals gemalt und auf die Farben des Interiors abgestimmt. So sieht man bei genauem Hinschauen die Weinkollektion des Hauses in der Tapete.
Auch ein aktuelles Projekt ist die Karaoke-Bar von Regisseur Michael Steiner an der Langstrasse. Er und seine Frau haben sich für einen halluzinogenen Hintergrund entschieden, der etwas Grafisches, aber auch etwas Dreidimensionales hat. Darin sieht man aufspringende Einhörner. Die Tapete hat eine intensive Ausstrahlung, die einen absorbiert, wenn man am Singen ist. Die Zeit vergeht wie im Flug. Auch die Sofas sind mit Prints von mir ausgestattet.

Die Karaoke-Bar von Michael Steiner an der Zürcher Langstrasse ist mit Tapeten und Polsterstoffen von Ginny Litscher ausgestattet.

Die Tapete an der Bar im Bella Vista Restaurant im Globus Bellevue, sowie auch die Weinetiketten im Vordergrund, sind mit Motiven der Zürcher Künstlerin geschmückt.
Du hast deine Bilder auch überall bei dir zuhause – wird es dir nie zu viel?
GL: Nein, weil ich immer in diesen Themen drin bin, es schaltet sowieso nie ab. Deshalb ist es sogar hilfreich, wenn ich die Bilder immer wieder anschauen kann. So habe ich konstant neue Ideen und sehe Änderungen, die ich noch machen kann. Ich lebe einfach immer in dieser Welt.
Wo kommt deine Einrichtung her?
GL: Sie hat sich über die Jahre zusammengesammelt, es sind teils Stücke aus London oder Spanien, die mich an jene Zeit erinnern. Einige sind auch Erbstücke, oder Möbel, die ich zu meinen Bildern gekauft habe – zum Beispiel das grüne Sofa zum grünen Bild. In England hat mir gut gefallen, dass die Leute sehr mutig sind, Muster und Farben zu mischen. Manchmal sind es Dinge, die zusammen nicht funktionieren sollten, aber doch irgendwie passen. Und überall entdeckt man wieder etwas Kleines in Ecken oder Nischen. Das ist ziemlich anders als Schweizer Inneneinrichtung. Mir entspricht das sehr.
Gibt es ein Traumprojekt, dass du gerne einmal umsetzen würdest?
GL: Ich würde sehr gerne zusammen mit einer Innenarchitektin ein ganzes Hotel mit meinen Prints und Entwürfen gestalten – wirklich eine eigene Welt zu entwerfen, das wäre toll.

Auch auf Plakaten für das Theater Gessnerallee ist Ginnys Malerei gerade zu sehen.