Sesshaft in Rom

Wo Vintage auf Grandezza trifft

Andrea Spalinger und Daniel Hunziker bezeichnen sich als Nomaden. Die promovierte Historikerin und der renommierte Zürcher Designer haben sich vor einem Jahrzehnt in der Limmatstadt kennengelernt. Er arbeitet dort seit über 20 Jahren als selbstständiger Designer. Mit seinem Projektteam DHDI entwickelt er identitätsstiftende Produkte für die Hotellerie, Spitzengastronomie, die Möbelbranche und öffentliche Auftraggeber und konzipiert für seine Kunden auch das Corporate Design.

Die Journalistin war sieben Jahre bis 2014 Südasien-Korrespondentin für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) in Delhi, anschliessend bis 2019 Rom-Korrespondentin, und dann ging es wieder zurück nach Zürich. Seit 2023 gehört die Autorin zum Reporterteam. Fast alle zwei Wochen reist das erfolgreiche Ehepaar an einen anderen Ort. Als wir sie besuchten, schrieb Andrea Spalinger gerade an einem Artikel über Benjamin Netanjahu und war auf dem Sprung nach Tel Aviv, Daniel Hunziker plante einen Aufenthalt in Buenos Aires.

Ein Mann und eine Frau in einer Altbauwohnung

Andrea Spalinger und Daniel Hunziker haben ein Faible für ausgesuchtes Vintage-Mobiliar. Der italienische Designer Ico Parisi entwarf das Regal (links) in den 1950er-Jahren.

Fasziniert von Rom

Die Zeit in Rom blieb ihnen immer in Erinnerung. Während ihrer Korrespondentinnen-Tätigkeit lebte das Paar in einer Mietwohnung an der Piazza Navona. Und was fasziniert besonders an der italienischen Hauptstadt? «Es ist nicht nur die Schönheit dieser einzigartigen Metropole, hier vermischt sich die Antike mit dem Mittelalter, dem Barock und dem Rationalismus, alles ist miteinander verbunden. Man hat das Gefühl, gleichzeitig in verschiedenen Epochen zu leben», erklärt die Journalistin.

«Hinzu kommt die emotionale Wärme der Römer», sagt Andrea Spalinger. Das hat sie in Zürich schmerzlich vermisst. «Wir haben hier so wertvolle Freunde gefunden», ergänzt sie. «Die Menschen sind offener und herzlicher», konstatiert auch Daniel Hunziker. Und so verwundert es nicht, dass die Nomaden an diesem Ort sesshaft wurden und wann immer möglich hier leben und arbeiten – eine Herzensangelegenheit.

«In Rom vermischt sich die Antike mit dem Mittelalter, dem Barock und dem Rationalismus.» 

Im Esquilino-Viertel, das als das kosmopolitische Herz gilt, fanden sie ein Appartement mit etwa 100 Quadratmetern. Hier liegt die Stazione Termini, der grösste italienische Bahnhof. Im November 2021 kaufte das Paar die um 1870 gebaute Wohnung. Restaurants und Handwerksläden sind gleich um die Ecke. «Alles ist zu Fuss oder mit dem Fahrrad schnell erreichbar», erzählt Daniel Hunziker begeistert. Mit seinem Enthusiasmus steckt er einen förmlich an.

Blick durch einen Rundbogen in eine Küche

Mit der Öffnung der Räume ergaben sich überall spannende Blickbeziehungen. Die massgefertigte Kücheninsel wurde aus einem afrikanischen Schälholz gebaut.

Holzküche mit Marmorplatten in Altbau

Geschirr und Gewürze präsentiert das Paar in Regalen. Die Marmorplatte stammt aus Naxos. Die weisse Wand macht den Unterschied zwischen dem Alten und Neuen sichtbar.

Mit einem Architekten vor Ort

Anfang 2022 begann er mit der Planung des Umbaus. Für die Bauleitung und Kommunikation mit den Behörden zogen die Eigentümer die örtliche Architektin Adele Savioli hinzu. Aus den ursprünglich sechs Zimmern sollten vier Räume werden, um mehr Grosszügigkeit zu schaffen. Durch den starken Eingriff in den Grundriss entstanden wieder lange Fluchten, die so typisch für die Wohnungen in der Metropole am Tiber sind. Seine Vision: Die Küche sollte als Zentrum fungieren, denn bei den Römern haben nicht nur die Familie und Freundschaft einen hohen Stellenwert, besonders wichtig ist ihnen der gemeinsame kulinarische Genuss.

«Durch den starken Eingriff in den Grundriss der Wohnung entstanden wieder lange Fluchten.» 

Ganz entscheidend für ein völlig neues Wohngefühl ist die Öffnung in der Vertikalen: Der Kreative liess die Zwischendecke in allen Räumen entfernen, die zur Hauptstrasse Via Carlo Alberto liegen, um ihnen wieder ihre Grandezza zurückzugeben und die ehemalige Zimmerhöhe von 3,70 Metern wieder herzustellen.

Die Balkendecke aus Eichenholz und ein Stück der ursprünglichen Mauer liess er bewusst sichtbar, die glatt verputzte Wand macht den Unterschied zwischen dem Altem und Neuen sichtbar. Ein Durchbruch, der in einer Achse mit der doppelflügeligen Tür zum Arbeits- und Gästezimmer liegt, verbindet die Küche mit dem Essplatz.

Durch diesen Eingriff erhielt die Basilika Santa Maria Maggiore eine prachtvolle visuelle Präsenz im offenen Koch- und Wohnbereich – trotz des Fensters in Normalgrösse, das aus Denkmalschutzgründen nicht vergrössert werden durfte. Besonders abends, wenn die Kirche hell erleuchtet ist, scheint sie zum Greifen nah.

Esstisch mit Stühlen und Fensterblick auf eine Kirche

Am ovalen Esstisch von Florence Knoll wird mit Freunden getafelt und gefeiert. Der Eero-Saarinen-Sessel erhielt einen neuen Bezug, der filigrane Holzstuhl ist von Gio Ponti.

Pflanzen in einem Altbau mit Esszimmer dahinter

Die Zwischendecke wurde entfernt. So erhielt die Wohnung ihre Grandezza zurück. Durch den oktogonalen Cottoboden ist der Küchen- und Wohnbereich eine optische Einheit.

Historisches vereint

Mit ausgesuchten Vintage-Möbeln, Leuchten der 1950er- und 1960er-Jahre, für die beide ein grosses Faible haben, und Daniel Hunzikers Möbelentwürfen transferierten sie den römischen Zufluchts- und Sehnsuchtsort in die Neuzeit.

Mit einem Gespür für die historische Bausubstanz wählte das Ehepaar das Interieur aus. Den Esstisch von Florence Knoll und den Eero-Saarinen-Sessel liessen sie von Zürich nach Rom liefern. Die filigranen Stühle von Gio Ponti entdeckte der Kreative bei Spazio Ampio, einem Store für erlesenes Vintage-Design. Der Besitzer Paolo Chiari hat ein enormes Fachwissen. Auch das von Ico Parisi entworfene Regal aus den 1950er-Jahren kaufte das Paar bei ihm.

Mit Vintage-Möbeln und Eigenentwürfen transferierte der Schweizer Designer den römischen Sehnsuchtsort in die Neuzeit.

Auf dem mit Samt bezogenen Sofa wird relaxt. Die Sessel der BS-Collection mit filigranem Schwarzstahlgestell entwarf Hunziker im Auftrag von Girsberger ursprünglich für das Hotel Beau Sejour in Luzern. Für den einst von Jürg Bally entworfenen «ess.tee.tisch» konzipierte er ein Re-Design für Horgenglarus: Das perfektionierte Meisterstück erhielt eine Linoleumplatte, feinere Tischbeine und einen raffinierten Mechanismus, mit dem er sich spielend leicht heben und senken lässt.

Als Daniel Hunziker ihn erklärt, spürt man seine Leidenschaft für die technische Raffinesse sofort. Kein Wunder, an der ETH-Zürich absolvierte er ein Maschinenbaustudium. Mit seinen Kreationen will er sich nicht auf Form Follows Function reduzieren lassen. Er legt viel Wert auf die Seele eines Produkts – deswegen arbeiten in seinem Team auch drei Künstler.

Gelbes Sofa mit Couchtisch und Sesseln in Altbau

Die Eichendecke prägt den Wohnraum. Das Paar relaxt am liebsten auf dem Zanotta-Sofa. Der höhenverstellbare Tisch ist ein Re-Design für Horgenglarus.

Kräuter selber anpflanzen

Ob im Wohnbereich oder in der Küche, überall gedeihen prachtvolle Grünpflanzen. Auf dem kleinen Marmortisch recken sich Rosmarin, Salbei und Thymian zum Fenster. Die modulare Kochinsel und Küchenzeile liess der Designer aus Okumé, einem tropischen Schälholz aus Afrika, bauen.

Durch einen Rundbogen erreicht man das zur Nebenstrasse gelegene Schlafzimmer. Daran schliesst sich das Dusch-Bad an. Weil ein Hauswirtschaftsraum fehlte, ersann der Eigentümer einen Holzkubus gegenüber dem Eingangsbereich. In dem ausgefeilten Würfel ist nicht nur eine Garderobe untergebracht, er bietet auch Platz für Schuhe.

Eine Schiebetür öffnet den Kubus zum Arbeitszimmer. Wie im Wohn- und Kochbereich zieht der Cottoboden mit den oktogonalen Kacheln alle Blicke auf sich. Auf dem Tojo-Bett, das sich wie eine Ziehharmonika variabel verstellen lässt, können Gäste übernachten. Das spirituelle Pendant zur Basilika auf der anderen Seite ist das Gebetstuch aus Indien mit zarten Blumendarstellungen neben dem Schreibtisch.

Durch die Motive aus Flora und Fauna auf den eleganten Papiertapeten wie die goldenen Ananasfrüchte im Flur oder silbrig glänzenden Palmwedel im Schlafzimmer entsteht nicht nur ein feinsinniger Dialog, dadurch wird auch die Natur ein Teil der erlesenen Einrichtung. Und wenn das Paar mal frische Luft braucht, gehen die beiden in den Park auf der Piazza Vittorio Emanuele gleich um die Ecke mit seinen prachtvollen Gärten. Er ist ein wunderbarer Entspannungsort und bringt die Kreativen auf neue Ideen.

Korridor mit Bank und Stuhl und Palmentapete

Das Blattwerk der Tapete zieht im Flur die Blicke auf sich. Gegenüber vom Eingang liess Daniel Hunziker einen raffinierten Holz-Kubus bauen. Hier hat die Garderobe Platz.

Gästebett vor Holzkubus in Altbau

Über dem ausziehbaren Bett «Tojo» neben dem Kubus hängt eine Arbeit der Schweizer Künstlerin Nina Staehli und dem argentinischen Künstler Alejandro Thornton.

Weitere Informationen:

www.danielhunziker.com

Das Titelbild der Ausgabe 5/2024 der Zeitschrift Das Ideale Heim.

Dieser und weitere Artikel sind in der Ausgabe 5/2024 der Zeitschrift Das Ideale Heim zu finden.