Das Werk von Trix und Robert Hausmann zeugt von Neugier, Experimentierfreudigkeit, Kreativität und dem Mut, etwas zu wagen. Ein Buch beschreibt diese aussergewöhnliche Reise durch die Design- und Architekturgeschichte der Schweiz. Joan Billing und Samuel Eberli von Design+Design führten mit der Architektin und dem Innenarchitekten ein Gespräch über Generationen hinweg.
Samuel Eberli: Mit eurem Projekt, das gerade rechtzeitig zum Jubiläum «100 Jahre Bauhaus – 1919–2019» fertig gestellt wurde, geht ihr nochmals zurück zu euren gestalterischen Anfängen. Gerne möchten wir über diese drei Sessel sprechen. Wir haben bereits letztes Jahr darüber diskutiert, als ihr uns bei einem Besuch die Modelle der Sitzobjekte gezeigt habt und wir von eurer Schaffenslust komplett begeistert waren.
Trix Haussmann: Vor zwei Jahren hat alles begonnen. Robert war damals nach einer Operation körperlich nicht ganz fit, dass ich kaum daran glaubte, dass dieses Projekt ein erfolgreiches Ende finden würde. Heute ist er wieder voller Tatendrang. Er zeichnet beinahe jede Nacht, so dass ich kaum mehr mit Dokumentieren folgen kann.
Samuel Eberli: Wie hat eigentlich alles begonnen?
Trix Haussmann: Robert hat für Knoll International (1988) streng geschnittene Fauteuils entworfen, die mit Spiegeln bestückt waren. Doch zu dieser Zeit war man für diese Art von «Verspiegelungen» nicht bereit. Schlussendlich wurden die Sessel ohne Spiegel.
Robert Haussmann: Ihr sitzt gerade auf alten Thonet-Stühlen von Marcel Breuer, die durch ihr reduziertes Design auf ihre Art transparent sind. Diese «Durch- oder Weitsicht» wollte ich auch bei grösseren Möbelstücken entstehen lassen. So habe ich damals für Knoll International die Idee der Transparenz weiterentwickelt und Polstermöbel mit Spiegeln ausstaffiert.
Trix Haussmann: Ein befreundeter Gallerist aus London ist bei einer Auktion auf unsere Sessel von Knoll International gestossen. Er war so eingenommen, dass er die Serie gleich gekauft hat. Von dem Polstermöbel mit der wulstigen Lehne und den Spiegeln – dieser «fliegenden Wurst» – war ich so begeistert, dass wir diese unbedingt aufgreifen und weiterentwickeln mussten. Und heute ist die neue Serie Realität.
Robert Haussmann: Diese ersten Fauteuils haben wir bewusst im frisch renovierten Museum für Gestaltung in Zürich fotografieren lassen, auch um einen zeitlichen Bezug der Möbel mit ihren Ideen und dem Raum, in der sie stehen, herzustellen.
Joan Billing: Irgendwie kommt uns beim Betrachten der Sessel der österreichische Künstler Erwin Wurm in den Sinn – auch wegen deiner Äusserung über diesen Sessel.
Trix Haussmann: Ja, «Die fliegende Wurst» ist tatsächlich ein Ausspruch von mir zu diesen Entwürfen. (lacht) Lange haben wir seine Arbeiten nicht gekannt, doch mehr oder weniger zufällig besuchten wir eine Ausstellung in Bologna und waren total begeistert. Seine Werke beinhalten diese Umkehrung, dieses Hintergründige, das uns fasziniert.
Joan Billing: Trotz der Ernsthaftigkeit in eurer Arbeit ist immer auch eine gewisse Leichtigkeit und ein gewisser Schalk spür- und sichtbar. Ganz nach dem Motto der Dada-Bewegung vor rund 100 Jahren: «Dada, ein Labor für den höheren Unsinn.»
Trix Haussmann: Es kommt uns halt immer wieder etwas Queres in den Sinn – mit einfachsten Mitteln etwas auslösen, einfach indem man Dinge auf eine andere Weise betrachtet. Vielleicht ist der Ursprung, dass man sich selber nicht so ernst nimmt.
Trix Haussmann: Und dazukommt das Spiel mit dem Zufall. Wir akzeptieren den Zufall als Gestaltungsmittel und benutzen ihn auch in unseren Arbeiten. Bei «Hommage à Gerrit Rietveld» sind es die Spiegel, die diesen Zufall auslösen. Wenn ich die Sessel betrachte, wo der Boden einfach weiterläuft, entdecke ich immer wieder etwas Neues, dass sich durch die unterschiedlichsten Blickwinkel ergeben. Das Thema «Spiegel» fasziniert uns beide offensichtlich etwas mehr als andere.
Joan Billing: Es geht bei euren Arbeiten nie darum, dass man sich selber im Spiegel sieht, sondern die Umgebung. Dies ist das Aussergewöhnliche. Wann habt ihr erstmals auf Spiegel bei euren Arbeiten zurückgegriffen?
Robert Haussmann: Bei einem kleinen Umbau am Utoquai in Zürich habe ich ein erstes Mal einen grossformatigen Spiegel eingesetzt. Plötzlich hat dieses Treppenhaus eine überraschende Weite ausgestrahlt. Und da sind natürlich auch meine Kindheitserinnerungen mit Spiegeln: Da mein Vater Tapetenhändler war, wurde unser Zuhause immer wieder neu ausstaffiert. Auf jeden Fall gab es da eine Tapete mit Blumenmuster, ganz im Stil des Biedermeier. Hoch oben, für mich kleinen Jungen nicht zu erreichen, hängte ein Spiegel mit üppig goldenem Rahmen. Aus meiner Perspektive entdeckte ich darin einen weiteren Raum, so schien es auf alle Fälle für mich. Da ich mich nicht getraute, hoch zum Spiegel zu klettern, um diese Sicht aufzulösen, bin ich mit dem Glauben aufgewachsen, dass es dort in diesem Spiegel einen weiteren Raum zu entdecken gab. Dies hat mich tief beeindruckt.
Trix Haussmann: Uns interessierte die Reduktion der Form, des Volumens und der Farben auf Rot, Blau, Gelb. Diese Reduktion im Zusammenspiel mit verspiegelten Flächen hat uns angesprochen. Durch den Spiegel erscheint das sehr reduzierte Volumen plötzlich irgendwie wollüstig. In diesem Sinne könnte man von einer Verwandtschaft zu den Ideen des Bauhauses sprechen.
Robert Haussmann: «Die üppige Kargheit» – eine inhaltlich schlicht wunderbare Umschreibung für diese drei Möbelstücke. Die Entwürfe sind niederländischen Architekten und Designer Gerrit Rietveld (1888–1964) beeinflusst. So heisst das Lehrstück auch «Hommage à Gerrit Rietveld». Ich habe ihn in jungen Jahren ja noch selber erlebt. Innerlich hat er nicht akzeptieren können, dass Menschen «runde» Seiten haben. (schmunzelt) Eine schräge Fläche wie beim Zickzack-Stuhl (1932) war das höchste der Gefühle, das Rietveld aus dem Lot zugestand.
Samuel Eberli: Wie ist es zu dieser Begegnung gekommen?
Robert Haussmann: Während meiner Zeit an der Kunstgewerbeschule in Zürich, konnte ich mich für eines der ersten Austauschsemester einschreiben. So kam ich nach Amsterdam an die Kunstakademie, die Gerrit Rietveld leitete. Seine Ideen und Visionen haben mich natürlich äusserst interessiert. Nach einem Semester wagte ich einen abenteuerlichen Abstecher nach Schweden, wo ich in einem Holzfällercamp den Holzbau studierte. Eigentlich wollte ich meinem Vater beweisen, dass ich mit 20 Jahren für eine gewisse Zeit auch ohne Geld, sehr sparsam leben konnte. Dies war aber eine andere Geschichte. Wieder zurück aus Schweden durfte ich als Assistent die erste grosse De-Stijl-Retrospektive am Stedelijk Museum in Amsterdam vorbereiten (1951). Während dieser Zeit habe ich das enorm umfassende Material an Briefen, Plänen, Zeichnungen, usw. lesen und teilweise auch restaurieren dürfen. Diese Ausstellung vorzubereiten, war für mich bare Wonne. Ich war damals so begeistert von diesen Themen rund um Gerrit Thomas Rietveld und die Künstlergruppe De Stijl, dass ich diese Ideen beinahe als Religion angeschaut habe. Irgendwie habe ich den lieben Gott mit Mondrian vertauscht. (lacht)
«Trix und Robert Haussmann – Protagonisten der Schweizer Wohnkultur»
Herausgegeben von Design+Design, Joan Billing und Samuel Eberli; Scheidegger & Spiess, 2019, 256 Seiten mit 300 Abbildungen, Hardcover mit Halbleinen, ISBN 978-3-85881-561-3, CHF 65.–