Herr Mazzei, Ihr Unternehmen wird häufig mit Sanierungs- und Restaurationsarbeiten für historische und denkmalgeschützte Gebäude betraut. Wie erarbeiten Sie die «richtige Farbe» für solche Objekte?
CM: Am Anfang jeder Sanierung eines historischen Gebäudes steht eine umfangreiche und seriöse Untergrundprüfung sowie das Erstellen eines Befundes, um das ursprüngliche Kolorit aufzuzeigen. Aus diesen Informationen bestimmt man die Materialisierung und das Kolorit. Wir sanieren hauptsächlich Bauwerke der letzten 300 Jahre, die im Original meist mit Ölfarben behandelt worden sind. Die Schwierigkeit dabei ist, dass die Gebäude häufig, bevor sie unter Schutz gestellt worden sind, viele weiteren Anstriche erhalten haben, teils qualitativ fragwürdige.
Wie muss man sich diesen Prozess vorstellen?
CM: Wir prüfen mit gewissen Mitteln, – Ammoniak, Natriumlauge, Universalverdünner, mildere Lösungsmittel, Bunsenbrenner usw. – wie sich die Oberfläche verhält; beispielsweise gibt man etwas Salzsäure via Wattestäbchen auf einen Untergrund, und wenn es zu schäumen beginnt, handelt es sich um eine Kalkfarbe, da Lauge und Säure aufeinander reagieren. Ein Ölanstrich «verseift» mit Salmiak, mit Nitroverdünner erkennt man, ob ein Anstrich einen Kunststoffanteil hat. So erstellen wir verschiedene Proben, die Aufschluss über die Möglichkeiten geben, mit denen auf den bestehenden Untergrund aufgebaut werden kann. Ein Befund zeigt den Schichtaufbau – also wie viele Generationen Schichten sind vorhanden – auf. Bei sehr komplexen Situationen wird dann ein Restaurator hinzugezogen.
Was ist ein epochengerechter Anstrich?
CM: Es gibt in der Architektur unterschiedliche Epochen/Zeitabschnitte, in der die jeweiligen Baustile mit dem entsprechenden Kolorit ihre typischen Erkennungsmerkmale aufzeigen. Oft sind diese durch dazumal verfügbares Material geprägt, später auch durch Persönlichkeiten wie etwa Louis XIV. Grundsätzlich ist ein Anstrich epochengerecht, wenn er mit dem entsprechenden Malmittel, der dazugehörigen Technik und in dem zu dieser Zeit verbreiteten Kolorit umgesetzt wird.
Wie werden moderne Techniken, Werkzeuge und Farben einer «alten» Qualität gerecht?
CM: Indem die Arbeiten mit den Werkzeugen, der Technik und dem Material aus der entsprechenden Zeit ausgeführt werden. Es gibt verschiedene Hersteller, die sich auf historische Malmittel spezialisiert haben.
Wie und wo hat eine Malerin heute die Möglichkeit, solche Techniken zu lernen?
CM: Das Malerhandwerk hat sich in den letzten Jahrhunderten nicht grundlegend verändert, d. h. mit einer soliden Grundausbildung ist bereits eine gute Basis gelegt. Um die Besonderheiten der Techniken und Materialien im historischen Bereich vertieft kennenzulernen, müssen Interessierte in einem entsprechenden Betrieb arbeiten. Denn die Techniken und Feinheiten kann man nur durch praktische Arbeit und Erfahrung erlernen.
Inwiefern hat sich der Maler*innenberuf in den letzten 25 Jahren verändert?
CM: Aus technischer Sicht ist er immer noch
sehr nahe bei seinem Ursprung – der Maler*innenberuf ist ein Handwerk, das Geschick und handwerkliche Begabung voraussetzt. Und solange die Grundrisse unterschiedlich bleiben, ist eine Standardisierung nicht möglich. Die Materialvielfalt ist heute sicherlich grösser als vor 25 Jahren, aber die Möglichkeiten zur Applikation der Farben haben sich nur unwesentlich verändert. Was sich auf aber auf jeden Fall stark ins Positive verändert hat, ist das Image der Maler*innen, und das ist zu 100 % den Frauen zu verdanken. Frauen lernen den Beruf nicht aus Verlegenheit, sondern aus Leidenschaft. Statistisch gesehen sind heute rund 50 % der Lernenden Frauen. Die Herausforderung und Aufgabe für uns Arbeitgeber*innen ist es nun, lukrative Arbeitszeitenmodelle auszuarbeiten, damit die Branche sie während der Mutterschaft nicht wieder verliert, – denn das geschieht im Moment leider noch stark.
Wie steht es hierzulande um den Mut zur Farbe?
CM: Er hat in den letzten 5 – 10 Jahren sicher deutlich zugenommen. Aber es ist immer noch eine Minderheit, meiner Einschätzung nach im Privathaushalt ca. 10 – 15 %, die an den Wänden bunte Farben einsetzt. Zwar lassen sich viele von Tapeten und farbigen Räumen in Öffentlichen Einrichtungen begeistern, die eigenen vier Wände werden dennoch stiefmütterlich behandelt.
Denken wir zu sehr Schwarz-Weiss?
CM: Tatsächlich wird Farbe gleichgesetzt mit «bunt», was dem riesigen Spektrum zwischen Weiss und kräftigen Farben nicht gerecht wird. Dabei ist der Mehrwert, der bereits durch wenig Farbe entsteht, gewaltig.
«Die Farbe ist in der Architektur ein ebenso kräftiges Mittel wie der Grundriss und der Schnitt», so Le Corbusier. Warum wird Architektur, zumindest in der Schweiz, oft ohne diesen Input gebaut?
CM: Leider verstehen viele Architekt*innen die Grundsätze der Farben nicht und/oder das nötige Interesse ist nicht vorhanden. Viele denken, dass ihre Räume nur in nacktem Weiss ihre Wirkung entfalten. Farbe wird als Ablenkung gesehen. Dabei ist Farbe eigentlich ein Material. Das ist schade, wenn man weiss, wie viel mehr man die Architektur durch Farbe inszenieren und stärken könnte. Mir fehlt vor allem die Auseinandersetzung in den unspektakulären Bereichen. Aber auch Architekt*innen denken oft nur in Weiss oder in Bunt. Das Dazwischen ist irgendwie kein Thema.
Was ist die richtige Farbe für einen Raum?
CM: Das ist sehr subjektiv. Bei Farben gibt es kein richtig oder falsch, lediglich bei der Materialisierung. Über die Farbe entscheiden die Nutzer*innen und der Zweck des Raums.
Es gibt aber bestimmt Faktoren, die bei der Farbwahl einbezogen werden müssen?
CM: In erster Linie ist es die Nutzung des Raumes. Welche Funktion soll er erfüllen? Wie und was will man in einem Raum inszenieren? Dann ist die Lichtsituation entscheidend: wie viel natürliches, wie viel künstliches Licht ist vorhanden; Lichtmenge und vor allem Lichttemperatur, – also seine Blau- respektive Gelbanteile. Es gilt, die Grundsätze der Farbmischung zu verstehen: Welchen Einfluss auf einen gelben Untergrund hat es etwa, wenn eine Lichtfrequenz mehr Blauanteil hat? (Anmerkung: Das Gelb wirkt Grün) Und letzten Endes ist es auch eine Frage der Materialisierung. Für uns ist Farbe ein Material, nicht einfach ein Farbton. Aus diesem Grund arbeiten wir oft mit den Farben von kt.COLOR, da diese durch ihre einzigartigen Pigmente bestechen. Bei der Herstellung dieser Farben werden die Pigmente nicht wie bei herkömmlichen Farben durch Mikronisierung bis ins Kleinste «zermahlen», sondern ganz beigemischt, wodurch es zu einer spezifischen Lichtbrechung kommt. Man kann sich das ein wenig vorstellen wie Sonnenlicht, das in den Kristallen von Neuschnee reflektiert. Industriefarben wären dann der Schnee, der durch die Skis plattgedrückt worden ist.
Was zeichnet ein gelungenes Farbkonzept aus, eines, das wohltut?
CM: Gelungen ist es, wenn es in sich stimmig und harmonisch ist. Ein Farbkonzept funktioniert dann, wenn ein Raum wohnlich wirkt, auch wenn er unmöbliert ist. Für eine gute Raumstimmung müssen zwei Bereiche verbunden werden: Mit hell/dunkel wird die Architektur unterschiedlich inszeniert, das Raumempfinden verändert. Atmosphäre wird über die Materialisierung und das Kolorit geschaffen.
Was sind häufige Überlegungsfehler im
Zusammenhang mit der Farbwahl?
CM: Die Überzeugung, dass dunkle Farben den Raum verkleinern und einengend wirken und helle Decken den Raum höher und grösser machen, ist mit Abstand die weitverbreitetste Falschaussage. Ein anderer «Klassiker» ist der Korridor, den man optisch verbreitern möchte. Tatsächlich geht das, wenn man mindestens eine Seite möglichst dunkel macht. Dunkle Farben absorbieren zwar viel Licht, aber sie geben dem Raum Tiefe und machen ihn weiter, weil das Auge dunkle Farben nicht fixieren kann. Es nimmt als Erstes Weiss und als Letztes dunkle Farben wahr. Anders gesagt: Ein dunkles Bauteil erhält weniger Bedeutung.
Ist unser Farbempfinden individuell, oder gibt es ein kollektives Farbempfinden?
CM: Grundlage jeder Farbwahrnehmung ist das menschliche Auge und das funktioniert grundsätzlich bei allen gleich. Wir wissen: Helle Farben werden als Erstes und am längsten gesehen. Dunkle Farben sind für das Auge unauffälliger. Die aufgenommenen Informationen werden aber unterschiedlich und individuell bewertet und mit Emotionen verbunden. Dies ergibt dann die subjektive Wahrnehmung und Einstufung in Vorzugsfarben und Ablehnungsfarben.
Kann sich dann nicht jeder auf sein eigenes Gefühl bei der Farbwahl verlassen?
CM: (Schmunzelt) Nunja, die Farbe der Kleidung oder eines Accessoires ist nicht ganz dasselbe, wie die Farbwirkung in einem Raum. Damit Sie das Thema in der Architektur greifen können, müssen Sie eine Ahnung haben von der Funktion des Auges und des Lichts. Daher lohnt es sich, in eine Beratung zu investiere, um die Grundsätze der Farblehre zu erfahren und Ideen und Vorschläge zu erhalten – auch wenn es «nur» für ein passendes Weiss ist.
Wie stark beeinflussen Licht und Untergrundmaterial die Farbwahl?
CM: Licht ist ein zentraler Faktor. Farbpigmente brauchen je nach Farbe ganz unterschiedlich viel oder wenig Licht, um sich entfalten zu können. Beispiel: Mit der Farbe Gelb assoziieren wir Sonne, Wärme, Helligkeit. Entsprechend wird die Farbe gerne gewählt, um die Atmosphäre der Sonne in dunkle Räume zu bringen. Gelbpigmente brauchen aber sehr viel Licht zur Entfaltung. Wenn also Gelb ohne genügende Belichtung zum Einsatz kommt, dann erhalten Sie einen gräulichen Farbton mit unschönen Schatten. Der Untergrund und auch die restlichen verbauten Materialien wie Boden, Türen, Fenster haben Einfluss und müssen berücksichtigt werden. Dabei wird oft übersehen, dass sich Farben auch kumulieren.
Kann es passieren, dass Farben nach einer gewissen Zeit «veraltet» wirken?
CM: Natürlich gibt es Farbkonzepte, die nur für eine gewisse Zeitdauer bestimmt sind, beispielsweise für eine Ausstellung oder einen Verkaufsraum. In der Regel ist ein gutes Konzept aber zeitlos. Trotzdem gibt es natürlich auch misslungene Farbkonzepte. Die meisten finden sich im Aussenraum, wenn nicht auf die Umgebung geachtet wurde, sondern nur auf die eigenen Vorstellungen.