Es gibt berühmte Hotels, die gibt es gar nicht. «The Grand Budapest Hotel» beispielsweise, oder das «Overlook Hotel» aus The Shining, die den Sprung von der Leinwand in die kollektive Wahrnehmung geschafft haben. Aber es gibt auch solche, die es stattdessen im wahren Leben zu Legendenstatus gebracht haben. Zu dieser Art gehört das «Hotel Okura Tokyo».
Nostalgie in Reinform
1962 eröffnet, ist es in den Jahrzehnten seines Bestehens zu einem architektonischen Wahrzeichen des japanischen Modernismus geworden. In den 408 Zimmern wohnten politische Grössen, Hollywood-Stars und Tokio-Besucher, die den erstklassigen Service eines wahrlich professionell geführten Hotels schätzten. Cary Grants «Walk, Don’t Run» beginnt im «Hotel Okura», James Bond wohnt in der Romanversion von «You Only Live Twice» dort und 1976 präsentierte die japanische Firma JVC im Okura Hotel der Welt den ersten Videorekorder. So viel ist passiert in dieser Festung der Zeit, in der die 60er–Jahre ewig anzudauern schienen.
Ich selbst war nie dort, obwohl eine Postkarte mit der Lobby des Hotels über Jahre an die Wand über meinem Schreibtisch gepinnt war. Mein damaliger Freund hatte sie mir von dort aus geschickt, zu einem Zeitpunkt, an dem unser Ende schon deutlich spürbar war. Im Japanischen gibt es ein Wort – natsukashii – das ein Gefühl der Vergangenheitssehnsucht beschreibt. Manchmal auch für eine verklärte Form davon. Das «Hotel Okura» scheint jahrzehntelang zahllosen Nostalgikern als architektonische Entsprechung dieses Gefühls gedient zu haben. Bis es 2015 abgerissen wurde.
Als bekannt wurde, dass das Hauptgebäude des beliebten Hotels einem modernisierten Neubau weichen sollte, ging ein weltweiter Sturm der Entrüstung durch die Reihen von Architekten, Designern und Gästen, die den einmaligen Charme schätzten. Spezialisten äusserten sich gegen den Abriss, das Monocle-Magazin startete gar eine Online-Petition (savetheokura.com), doch nichts half: Im August 2015 schlossen sich die Türen endgültig.
Doch ohne einen nostalgischen Anstrich kommt auch das neue Hotel mit dem leicht angepassten Namen «The Okura» nicht aus: Bereits der Vater des japanischen Architekten Yoshio Taniguchi hat das Original in den 1960ern mitgestaltet. Ein komischer Gedanke, dass sein Sohn nun die Aufgabe hat, einen Nachfolger zu konstruieren. Man setzte sogar noch einen drauf: Wie in einer Pressemitteilung bekannt gegeben wurde, werden die ikonischsten Bereiche des «Hotel Okura» im «The Okura» übernommen. Die Einrichtung der Orchid Bar und die Lobby mit ihren zahlreichen Details wird kopiert. Die Elemente seien eigens aufbewahrt worden. Der Entscheid scheint die sinnbildliche Verbindung von Alt und Neu noch unterstreichen zu wollen.
Am 12. September 2019 soll das Hotel wiedereröffnet werden. Taniguchi verteilt die 508 Zimmer auf zwei moderne Gebäudekomplexe mit grossen Glasfronten: dem 75 Meter hohen «Heritage Wing» und dem 188 Meter hohen «Prestige Tower». Anders als der Bau aus den 1960ern werden sie erdbebensicher sein und luxuriösen Ansprüchen gerecht werden. Durch halbherzige Modernisierungsversuche waren die Zimmer des Originals vor einigen Jahren «verschlimmbessert» worden.
Wie auch bereits der erste Bau in den 1960ern, wird der Neubau in Hinblick auf die Austragungen der Olympischen Spiele in Tokio fertiggestellt. Rechtzeitig bevor sie 2020 starten, soll das neue Okura eröffnet werden. Die Überlegung scheint aufzugehen, für die Olympischen Spiele 2020 ist es bereits ausgebucht. Der Abriss war ein unumgänglicher Schritt, doch ob es für diesen Erfolg die Replikas überhaupt gebraucht hätte, sei dahingestellt. Diesen Ort aus der Vergangenheit wiederauferstehen zu lassen, wirkt fast grausam. Wird es sich nicht wie eine altmodische Kulisse in einem modernen Hotelkomplex anfühlen? Es gibt berühmte Hotels, die gibt es gar nicht. Und es gibt solche, die es ein Mal gab und die nun nur noch in der Sehnsucht nach Vergangenheit bestehen sollten.
Allen, die ein wenig in Nostalgie schwelgen wollen, sei diese Flicker-Sammlung eindrücklicher Bilder des alten «Hotel Okura» ans Herz gelegt.