Kaum eine europäische Metropole ist von Touristen so unberührt wie Polens Hauptstadt. Warschau scheint sich der westlichen Entwicklung ein wenig entzogen zu haben und entpuppt sich gerade deshalb als wahrer Geheimtipp. Dies ist aber nicht weiter überraschend: Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt zu 90 Prozent zerstört. Die letzten Jahrzehnte galten dem Wiederaufbau und der Identitätsfindung. Die geschichtsträchtige Altstadt mit ihren farbigen Häusern und Wandmalereien wurde originalgetreu wieder nachgebaut und gehört heute zum UNESCO-Welterbe.
Auf dem nostalgiereichen Altstadtplatz (Rynek Starego Miasta Warszawie) reihen sich kleine Cafés und traditionelle Ladenlokale aneinander. Vereinzelt tummeln sich Strassenmaler und Marktverkäufer auf den Pflastersteinen, ohne von Touristenansammlungen verschluckt zu werden. Einzig das Museum Warschau erinnert noch an die schreckliche Zerstörung der Altstadtidylle vor nun mehr als 70 Jahren. Doch die Geschichte der Stadt scheint noch in allen Gassen zu haften. Flaniert man weiter über die historische Krakauer-Vorstadt-Strasse (Krakowskie PrzedmieŠcie), passiert man das nostalgiereiche Bristol-Hotel aus dem Jahr 1901, das noch den alten Charme versprüht. Vorbei am Nikolaus-Kopernikus-Denkmal, von wo aus der Weg in die Neue-Welt-Strasse (Ulica Nowy Šwiat) mündet, die unter anderem Teil des Warschauer Königswegs ist. Hier findet man kleine Cafés, traditionelle Gasthäuser und unabhängige Shops. Im direkten Kontrast dazu zeigt sich der moderne Teil Warschaus. Der verglaste Wohnturm Złota 44 von Studio Libeskind beherbergt Luxusapartments mit atemberaubender Aussicht und sticht wie ein monströser Koloss aus dem Stadtbild heraus. Einzig der historische und umstrittene Kulturpalast kann mit seinem eindrücklichen Bauwerk mithalten. Er wurde zwischen 1952 und 1955 im Baustil des Sozialistischen Klassizismus unter der sowjetischen Führung von Stalin errichtet und war bei seiner Fertigstellung mit 237 Metern nach der Lomonossow-Universität Moskau das zweithöchste Gebäude Europas. Heute beherbergt der Bau unter anderem Kinos, Theater und Museen. Zudem hat man im 30. Stockwerk auf 114 Metern einen atemberaubenden Blick über die Dächer der Stadt. Im modernen Stadtteil Warschaus findet man wiederum die gängigen Modeketten und Marken. Hier am Rande hat sich auch die junge Generation innovativer Künstler und Designer angesiedelt. Dabei ist vor allem die Mokotowska-Strasse besuchenswert. Kleine Boutiquen, Schmuckläden und Interiorshops reihen sich aneinander und zeigen die ganze kreative Spannbreite. Aber auch neue architektonische Projekte wie etwa Ethos – ein prominenter Gebäudekomplex, der für luxuriöse und kommerzielle Einzelhandelsgeschäfte entwickelt wurde, blühen auf. Denn während andere europäische Metropolen an ihre Grenzen kommen, wird Warschau mit einem Verkaufswachstum von sieben Prozent bereits als neue Luxusdestination gehandelt. Bis anhin ist die polnische Hauptstadt vom grossen Touristenandrang verschont geblieben – das kann sich aber schnell ändern. Im vergangenen Jahr wurde Warschau bereits unter die 20 beliebtesten Reisedestinationen Europas gewählt, und es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis die polnische Grossstadt in den Fokus der Masse gerät und zum neuen Reise-Hotspot Europas wird.