Im Zwhatt-Areal in Regensdorf wächst ein neues Quartier mit Wohnungen, Gewerbe und öffentlichem Leben. Ein Pilotprojekt zeigt dabei, wie Wohnungsnot und Klimakrise durch die Umnutzung bestehender Gebäude innovativ angegangen werden können – mit Tiny Studios ab unter 700 Franken Miete.
Ein Gewerbehaus aus den 1980er-Jahren, eigentlich ein Relikt der ehemaligen Büroarchitektur, wurde hier nicht abgerissen, sondern weitergedacht – und beherbergt neu 37 Tiny Studios. Zwei ganz unterschiedliche Ansätze machen das Haus zu einem Reallabor für die Zukunft: Die «Upcycle Living Studios», die auf maximale Wiederverwendung von Bauteilen setzen, und die «Eco Living Studios», die mit innovativen Materialien und einem experimentellen Heizsystem neue Wege der energetischen Sanierung erproben.
Mit Mietkosten unter 700 Franken sind die Wohnungen besonders für Studierende und junge Berufstätige erschwinglich. Doch was bedeutet das für den Schweizer Wohnungsmarkt? Wie lassen sich Nachhaltigkeit, Kostenbewusstsein und Wohnqualität miteinander verbinden? Und welche Lehren lassen sich aus diesem Pilotprojekt für die Zukunft ziehen?
Die Vermietung der Tiny Studios startet mit dem Bezug im Oktober 2025 – zunächst als zweijähriges Pilotprojekt. Danach wird gemeinsam mit den Mieter:innen und der ETH Zürich ausgewertet, welche Erfahrungen sich aus den «Upcycle» und «Eco Living Studios» für die Zukunft des Wohnens ableiten lassen.
Im Interview erläutert Martin Schriener, Leiter Project Development bei Pensimo Management AG, die Hintergründe und Chancen des Projekts.
Wie kam es zur Entscheidung, ein Bürogebäude aus den 1980er-Jahren in Wohnraum umzuwandeln – und warum eignet sich gerade das Zwhatt-Areal als Experimentierfeld?
Martin Schriener: Das Bürogebäude ist Teil eines Bestandsensembles auf dem ehemaligen Gretag-Areal, das wir 2016 erworben haben. Der bestehende Gestaltungsplan sieht eine Nutzungstransformation in mehrheitlich Wohnen vor. Aufgrund des relativ jungen Gebäudealters, der gut nutzbaren Struktur und unserer Nachhaltigkeitsansprüche entschieden wir, das Gebäude nicht abzureissen, sondern zu sanieren. Mit baubüro in situ suchten wir Lösungen für eine nachhaltige Transformation und beschäftigten uns mit Re-use, also der Wiederverwendung von Bauteilen. Gleichzeitig ergab sich eine Zusammenarbeit mit Prof. Elli Mosayebi von der ETH Zürich, die eine Forschungsfrage zur alternativen energetischen Sanierung einbrachte. So konnten wir zwei Kleinprojekte mit Forschungscharakter testen und Zwhatt um zwei weitere Wohnprodukte bereichern – mit Erkenntnissen auch für zukünftige Projekte.
Angesichts des angespannten Wohnungsmarkts: Welches Potenzial sehen Sie in der Umnutzung von bestehenden Büro- und Gewerbebauten, um rasch zusätzlichen Wohnraum zu schaffen?
MS: Rein von der Flächenverfügbarkeit und dem sich verändernden Arbeitsverhalten her besteht ein beträchtliches Potenzial. Doch ein solcher Case muss wirtschaftlich sein. Faktoren wie Ertragspotenzial, Zustand und Struktur des Bestands, Zonenkonformität oder regulatorische Anforderungen spielen dabei eine zentrale Rolle.
Mit den «Upcycle Living Studios» und den «Eco Living Studios» wurden zwei verschiedene Konzepte umgesetzt. Was lässt sich aus diesen unterschiedlichen Ansätzen für zukünftige Umnutzungsprojekte lernen?
MS: Die «Upcycle Living Studios» zeigen, dass mit geringen Eingriffstiefen und hohem Anteil an Wiederverwendung attraktive Wohnprodukte wirtschaftlich realisierbar sind. Die «Eco Living Studios» basieren ebenfalls auf geringer Eingriffstiefe, setzen aber auf alternative energetische Sanierung: Statt die Gebäudehülle teuer zu sanieren, werden thermisch aktive Raummodule eingesetzt, die Strahlungswärme abgeben – gespeist durch Strom aus PV-Anlagen. Fassade und Heizsystem bleiben weitgehend bestehen. So soll auch unter schwierigen Bedingungen eine ökologisch sinnvolle Sanierung möglich sein.
Wie gross ist der ökologische Vorteil, wenn ein Gebäude weitergenutzt statt abgerissen und neu gebaut wird – und wie wichtig ist das für die Klimastrategie im Schweizer Wohnungsbau?
MS: Der Erhalt von Bausubstanz ist hinsichtlich grauer Energie ein wirksamer Hebel zur Reduktion von Emissionen. Nicht-Neubauen und die Verlängerung der Lebensdauer schonen Ressourcen und verringern Abfälle. Berücksichtigt man aber auch Aspekte wie geringeres Verdichtungspotenzial, zeigt sich ein differenzierteres Bild gegenüber einem Neubau.
Metall-Lehm-Konstruktionen, Wiederverwendung von Bauteilen, experimentelle Heizsysteme: Welche Chancen, aber auch welche Risiken sehen Sie bei solchen innovativen Materialien und Techniken in einem realen Wohnumfeld?
MS: Das Testen neuer ökologisch nutzbringender Materialien, Konstruktionen oder Techniken lässt uns lernen, Wissen erweitern und andere Akteure motivieren. Experimente sind aber nur ein Startpunkt: Langfristig müssen Innovationen wirtschaftlich umsetzbar sein, um als nachhaltig zu gelten – nur so ist dauerhaft bezahlbarer Wohnraum möglich.
Mit Mieten unter 700 Franken sind die Tiny Studios besonders für junge Menschen attraktiv. Wie gelingt es, Preisgünstigkeit und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen – und wo liegen die Grenzen?
MS: Nachhaltigkeit und Preisgünstigkeit ergänzen sich hier, da der Bestandserhalt beiden zugutekommt. Durch geringe Eingriffstiefe, gemeinschaftlich genutzte Flächen und suffizienten Ausbaustandard konnten die Erstellungskosten niedrig gehalten werden. Ziel war, Mietpreise deutlich unter Markt zu ermöglichen. Design-to-Cost half, die Kosten einzuhalten – trotz erhöhtem Koordinationsaufwand. Die Grenzen sind durch die Wirtschaftlichkeit definiert: Ist diese nicht gegeben, fehlt die Grundlage.
Wer zieht in solche Tiny Studios – und welche Rolle können Umnutzungen generell dabei spielen, bezahlbaren Wohnraum für Studierende, Berufseinsteiger:innen oder Menschen in Übergangsphasen zu schaffen?
MS: Die Konzepte sprechen eine Zielgruppe an, die preissensibel ist, Gemeinschaft sucht und Wert auf Nachhaltigkeit legt. Umnutzungen sind nicht automatisch besser geeignet als Neubauten. Sie bringen dann Vorteile, wenn durch Bestandserhalt Kosten gespart werden können. Wenn man zudem Spuren der Nutzungsänderung als Qualität begreift und kosmetische Aufwände minimiert, lässt sich zusätzlich sparen. Das Ergebnis ist spezifisch und vielleicht nicht massentauglich – und wir können uns vorstellen, dass die oben erwähnte Zielgruppe die damit verbundene Authentizität schätzt.
Welche Rahmenbedingungen erschweren Umnutzungen heute noch?
MS: Wir benötigen mehr regulatorischen Spielraum bei Bestandsentwicklungen. Bei Umnutzungen treffen alte Anforderungen von Nutzung A auf Neubauanforderungen von Nutzung B – hier ist die Kluft besonders gross. Schall- und Brandschutz, statische und energetische Anforderungen oder Hindernisfreiheit sind zentrale Themen. Auch das starre Zonenreglement verhindert oft attraktive Szenarien. Mehr Spielraum seitens Gesetzgebung und Behörden wäre wichtig. Diskussionen etwa über eine «Gebäudekategorie E» oder «weisse Planungszonen» zeigen, dass wir nicht allein sind.
Welche Chancen sehen Sie, ähnliche Modelle auch andernorts umzusetzen?
MS: Das hängt vom Resümee nach der zweijährigen Testphase ab. Wir sind zuversichtlich, dass die Einheiten gut angenommen werden, möchten dies aber sorgfältig prüfen. Zusammen mit der ETH Zürich befragen wir die «Pionier-Mieter» und werten deren Feedback aus. Erst dann lässt sich das Potenzial für weitere Projekte abschätzen.
Könnten Umnutzungen ein fester Bestandteil der Wohnungspolitik werden?
MS: Die Umnutzung von Büro- und Gewerbeflächen ist kein neues Instrument, auch nicht in der Schweiz. Sie gehört bereits zum Repertoire. Wichtig ist die Frage, wie die Bedingungen verbessert werden können. An Standorten, wo Büro- und Gewerbeflächen unter Druck kommen, eröffnen Umnutzungen neue Möglichkeiten, Wohnraummangel zu begegnen. Dies hätte auch städtebauliche Effekte: der Entmischung unserer Siedlungen würde entgegengewirkt, es entstünde ein vielfältigeres Nebeneinander verschiedener Nutzungen.