Im Herzen des niederländischen Dorfes Bennebroek liegt das neugotische Kloster St. Lucia – ein Bau mit einer bewegten Geschichte. Im Jahre 1896 wurde es von den Sœurs du Sacré Coeur erbaut. Diese waren seit 1801 in Frankreich als Erzieherinnen für Mädchen aus dem französisch-katholischen Bürgertum tätig, doch bald wuchs daraus ein Orden mit Internaten weit über die Landesgrenze hinaus. Aufgrund seiner schwer erreichbaren Lage sahen sich die Schwestern jedoch gezwungen, den Bennebroek-Komplex nach einer kurzen Blütezeit an die Franziskanerinnen zu verkaufen. 1920 gründeten diese dort das Kloster St. Lucia, das sie bis 2007 bewohnten. Zehn Jahre später wurde das Gebäude von einem Projektentwickler in sieben Stadthäuser und elf Wohnungen umgewandelt.
Farblich orientiert sich die Einrichtung an den originalen Wandgemälden, die wo möglich freigelegt und restauriert wurden.
Eine dieser Wohnungen in der ehemaligen Kapelle des Klosters erwarben die Designerin Milla Novo und ihr Partner Nigel Nowotarski. Die grosszügige Raumhöhe kam dem Textilatelier von Milla nämlich entgegen, da sie so inmitten des hohen Wohnbereichs problemlos ihre geknüpften Wandbehänge kreieren konnte. Als dann hinter dem Putz während der Renovationsarbeiten ein bemalter Engelskopf auftauchte und sich die ursprünglichen Wandmalereien der Kapelle als noch vollständig erhalten erwiesen, war für Milla klar, dass dies das richtige Zuhause für sie war: «Es fühlte sich an, als wäre eine Art Schutzengel aufgetaucht, der Vergangenheit und Gegenwart zusammenbrachte. Es schien mir, als hätte dieser Ort auf uns gewartet.» Für das Interior zog das Paar die Hilfe von Standard Studio aus Amsterdam herbei. «Es war eine Herausforderung, ein Interior-Konzept für Milla und Nigel zu entwerfen. Sie wollten gleichzeitig die klösterliche Atmosphäre respektieren sowie auch ein gemütliches Zuhause schaffen», so Wouter Slot von Standard Studio.
Raum für Kreativität
Gerade für Künstler, die Wohnen und Arbeiten gerne verbinden, boten umgenutzte Gebäude schon immer attraktive Gelegenheiten, um ein ganz eigenes Umfeld für ihre kreative Entfaltung zu schaffen. Dieser Trend begann in den 1980er-Jahren in SoHo/New York, wo ehemalige Industriegebäude von Künstler*innen als Studios benutzt wurden. Die Umnutzung von sakralen Bauten ist, aufgrund der sich immer mehr entleerenden Kirchen und Klöster, gerade erst im Aufkommen. Wegen ihrer hohen, offenen Räume bieten sie besonders viel Gestaltungsfreiraum. Und genau dies zog Milla und Nigel zum Kloster St. Lucia hin – hier schienen sie endlich eine ideale Ausgangslage gefunden zu haben, um ihre Vorstellungen eines zugleich funktionalen und wohnlichen Raumes zu realisieren: «Vom Moment, als wir die Wohnung zum Verkauf ausgeschrieben sahen, war sie unser Traumobjekt», so Milla.
«Es schien mir, als hätte dieser Ort auf uns gewartet.»
Ein Alleinstellungsmerkmal der Wohneinheiten im ehemaligen Kloster sind ihre grosszügigen Dimensionen – dies schuf im klösterlichen Alltag die nötige Ruhe und Andacht. Doch die Einheit, die Milla und Nigel erwarben, erwies sich aufgrund ihres unkonventionellen Grundrisses als schwierig zu verkaufen. Dabei handelt es sich um den Altarbereich der ehemaligen Kapelle mit Rundbogenfenstern in einem 190 Quadratmeter grossen Wohnbereich mit einer teils halbrunden Grundfläche. Die Höhe von sechs Metern bot dabei Raum für zusätzliche Wohn- und Schlafbereiche. Der Projektentwickler hatte die Farbfenster der Kapelle durch klares Glas ersetzt und ein erhöhtes Podium geschaffen, um den Ausblick durch die Fenster zu ermöglichen. Ansonsten stellte sich die Kapelle als ein unbeschriebenes Blatt dar, wo Milla und Nigel ihre ganz eigenen Wohnträume verwirklichen konnten.
Verwoben
Gemeinsam mit Standard Studio entstand so in der bestehenden Struktur ein fliessendes Raumgefüge: «Ich wollte einen offenen ‹Flow› in der Wohnung, sodass man ungehindert von einem Raum in den nächsten spazieren kann», erzählt Milla. Farblich orientiert sich die Einrichtung an den originalen Wandgemälden, die wo möglich freigelegt und restauriert wurden. Auch bei der Küche, die die Bauherrschaft selbst entwarf, wurden diese Farben eingebunden: «Für die Materialwahl arbeiteten wir mit dem Natursteinexperten Nick Blok zusammen. Schlussendlich entschieden wir uns für einen italienischen Quarzit, dessen Rosa- und Ockertöne schön mit den Wandbildern harmonieren.»
Bei den gesamten Umbauarbeiten war es Milla und Nigel wichtig, die Geräumigkeit und den Charakter der Kapelle zu bewahren. Auch das Tageslicht – essenziell für Millas Arbeit – war ein wichtiger Faktor. So sind Räume entstanden, die den grosszügigen Wandbehängen von Milla gerecht werden. Inspiriert ist ihre Kunst vom indigenen Volk der Mapuche, heimisch in Süd-Chile, wo Milla die traditionellen Handwerkstechniken von ihrer Mutter erlernte. Ihre Werke verweben sich aber auch mit den Räumen, in denen sie hängen. «Ich will, dass sich die Leute in meinen Wandbehängen wiedererkennen, sich damit verbunden fühlen. Sie sollen die Abenteuer und versteckten Überraschungen ihrer Leben widerspiegeln – genauso wie dieses Loft das für Nigel und mich tut.»
Milla und Nigel war es wichtig, die Geräumigkeit und den Charakter der Kapelle zu bewahren.