«Mein Raumbegriff ist sehr offen»

Atelier Michael Hirschbichler

Hirschbichler ist Künstler und arbeitet mit so ungewöhnlichen Stoffen wie Salpeter, Rohöl, Kupfer, Bergbauabfällen oder Sedimenten. Seine «Feldarbeit» findet in vielen Ländern statt. Er interessiert sich für die Wechselbeziehungen zwischen den materiellen Aspekten von Landschaften oder Räumen und immateriellen Elementen wie Erinnerungen, Mythen und Ideologien. Dabei untersucht er auch das Zusammenspiel von Sichtbarem und Unsichtbarem, Fakten und Fiktionen. Seit 2024 ist Hirschbichler Professor für «Design and Experimental Creation» an der HafenCity Universität in Hamburg. In seiner Arbeit kommen Kunst und Forschung zusammen.

Mann in Overall in Siebdruckwerkstatt

Einheit der Künste: Michael Hirschbichler studierte Architektur an der ETH Zürich und kam danach zur Kunst.

Mann steht vor Tisch mit bedruckten Blättern

Transdisziplinär: Hirschbichler arbeitet an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Anthropologie.

Du hast Architektur studiert. Wie kamst du zur Kunst?

MICHAEL HIRSCHBICHLER: Ich wollte schon als kleines Kind Architekt werden. Ich dachte immer, Architektur umfasse Zeichnung, Malerei, Skulptur und Gebäude und sei also gleichsam eine Mischung künstlerischer Medien. Mit dieser Vorstellung habe ich an der ETH Zürich Architektur studiert und bin kurz nach Abschluss zur Kunst gelangt. Im Grunde lebe ich meinen Kindheitstraum und hebe die Trennung zwischen Kunst und Architektur auf.

Dann stand die künstlerische Praxis schon zu Beginn deiner beruflichen Laufbahn fest?

MH: Ja, mich haben von Anfang an Bilder, Atmosphären und philosophische Aspekte und ganz allgemein das Reflektieren von räumlichen Situationen interessiert. Nach dem Studium bin ich nach Papua-Neuguinea gezogen und habe eineinhalb Jahre dort gelebt und unterrichtet. Diese Zeit war extrem prägend und lehrreich für mich. Daraus entstand später meine Doktorarbeit; sie trägt den Titel «Mythische Konstruktionen». Die Verbindung zwischen Raum und Mythologie, zwischen materiellen und immateriellen Aspekten, ist auch der Kern meiner künstlerischen Arbeit.

In deiner Kunst begegnen sich Räume als irdische und als kosmologische Kategorie. Kannst du dies etwas erläutern?

MH: Mein Raumbegriff ist sehr offen. Er kann gebaut sein, aber auch aus Konstellationen von Körpern und Gegenständen bestehen. Unsere Welt besteht schliesslich aus Räumen, denen wir nicht entfliehen können. Mich interessieren konkrete Räume und Orte, die typisch sind für bestimmte allgemeinere Vorstellungen unserer Welt. Ein Beispiel dafür wären Schlachthöfe: Sie stehen für eine bestimmte Ordnung von Räumen, Leben und Tod. Oder Kirchen und andere religiöse Gebäude, die transzendente Glaubensinhalte und Weltvorstellungen materialisieren. Aber eine Shoppingmall, eine Autobahnkreuzung oder eine Mine sind ebenso aussagekräftig. Diese Orte sind materieller Ausdruck von Ideologien und Wertvorstellungen. Und umgekehrt werden durch sie diese Vorstellungen erst konstruiert. Ich möchte mit meiner Arbeit zeigen, dass Orte nie neutral sind, sondern stets durch bestimmte Ideologien geprägt sind.

Reflexionsräume: Architektur ist mehr als Bauen

Feldarbeit: Hirschbichler setzt sich intensiv mit Orten auseinander

Materiell und immateriell: Orte sind Träger vielschichtiger Informationen.

Es geht um materielle Aspekte, aber gleichzeitig auch um Bedeutungsräume. Wie würdest du deine intellektuelle Annäherung an diese Themen beschreiben?

MH: Den Hintergrund bilden unterschiedliche Denktraditionen. Dazu gehören etwa die Schriften des französischen Philosophen Michel Foucault, Literatur, Bilder, Filme, persönliche Erfahrungen und ganz besonders traditionelle Vorstellungen Papua-Neuguineas. Das Verständnis von Landschaft als mythologische Konstruktion sowie Kunst und Zeichensysteme als Verkörperungen von immateriellen Aspekten – wie Geistern, Erzählungen und Spekulationen über die Welt – faszinieren mich sehr. Durch Neuguinea ist auch die Ethnologie für mich sehr bedeutsam geworden.

Bist du auch von der Strömung der «Neuen Materialismen» beeinflusst?

MH: Materie und ihre Handlungsmacht sind für mich sehr wichtig, auch in ganz praktischer Hinsicht, denn Materialien sind die physische Basis – und häufig auch die Akteure – meines künstlerischen Schaffens. Ich arbeite zum Beispiel an Bildern zusammen mit Flüssen oder zermahlenen Gebäuden.

Nach Papua-Neuguinea hat es dich immer wieder in andere Gegenden der Welt gezogen. Wie flossen diese Orte in deine Arbeit ein? Und was haben sie bewirkt?

MH: Orte und Räume verändern Menschen, vor allem, wenn man sich lange dort aufhält. Und ich bin überzeugt, dass sie jeweils verschiedene Wahrnehmungen, Ideen und Blicke auf die Welt ermöglichen. Das konnte ich immer wieder feststellen: im Rahmen meiner Forschung in Papua-Neuguinea, meiner künstlerischen Feldarbeit in Aserbaidschan, Japan und Chile und auch an unterschiedlichen Orten in der Schweiz. Jeder Ort, an dem ich lebe und arbeite, ist eine sehr intensive Erfahrung. Diese intensive Auseinandersetzung mit Orten nenne ich «dirty work». Damit meine ich nicht nur materielle Eigenarten, es geht auch um ideologische Konzeptionen.

Atelierraum mit Planschrank und gerahmten Drucken

Neue Form der Kartografie: Die Arbeiten gleichen manchmal Landkarten.

Welche Rolle spielt das Arbeiten im Atelier?

MH: Indem ich mit verschiedenen Medien arbeite, versuche ich, unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema zu gewinnen. Ich folge dabei der Logik der jeweiligen Räume, Orte und Themenfelder. So bin ich zum Siebdruck gekommen: Man kann mit dieser Technik Landschaften physisch auf Papier drucken. Das Atelier ist meine «Homebase», in der ich Materialien, Bilder und Aufnahmen, die vom Feld stammen, lagere und weiterverarbeite. Es ist für mich auch ein Reflexionsraum.

Du unterrichtest seit letztem Jahr an der Hafen- City Universität in Hamburg und hast dort das «Center for Spatial Cosmology» gegründet. Was hat es damit auf sich?

MH: Ich möchte den Kern meines künstlerischen Interesses – nämlich die Verbindung von Räumen und Weltbildern – dadurch in einen grösseren Zusammenhang setzen. An der Universität habe ich die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Künstler:innen und Wissenschaftler:innen eine grössere Reflexion darüber anzustellen. Zurzeit arbeite ich daran, dieses neue Zentrum aufzubauen und Netzwerke zu knüpfen. In diesem Zusammenhang interessiert es mich auch, unsere Gegenwart mit der fernen Vergangenheit und der fernen Zukunft in Beziehung zu setzen und aus der Transformation bestehender Kosmologien mögliche neue zu schaffen.

Lass uns einen Blick in die Zukunft werfen. Was hast du für Projekte?

MH: Eine ganze Reihe. Dazu gehört zum einen mein Langzeitprojekt «Tracing Terra / Theatrum Orbis Terrarum», eine architektonische und gleichzeitig mythische Kartografie unserer Erdoberfläche. Hinzu kommt die Planung ortsspezifischer architektonischer Installationen, die ich als kosmologische Strukturen verstehe. Für das kommende Jahr arbeite ich zudem an Ausstellungen in der Villa Medici in Rom und in der Johanniterkirche in Feldkirch. Dabei wird es darum gehen, die Kirche mit dem Aushub aus dem Kirchenboden von innen heraus zu vergläsern. Glas gibt es übrigens auch auf anderen Planeten.

 

Werke von Michael Hirschbichler

«ERYTHROTYPIEN»: C Prints, handvergrössert von Mittelformatfarbnegativen, die dem Flusswasser des Río Tinto ausgesetzt waren und damit chemisch reagierten, jeweils 60 × 80 cm, kaschiert auf Aluminium, gerahmt mit Museumsglas, 2023

«RIVER PAINTINGS»: Kupferhaltiges Rio-Tinto-Flusswasser, auf Leinwand sedimentiert, 100 × 150 cm, 2023

«GEBÄUDE AUF PAPIER»: Zermahlenes Gebäude (Schiefer, Mörtel und Aluminium) auf Papier, Siebdruck/Malerei, 50 Unikate, je 100 × 70 cm, 2024/2025

«OIL FIELD PAINTINGS»: Rohöl auf Leinwand, je 85 × 120 cm, 2017

«AUSLEUCHTUNG (WELTALL, ERDE MENSCH)»: LED-Leuchten, Stromgenerator, Eisenhüttenstadt, Wohnkomplex VI, 2020