Wie jedes Jahr habe ich auch diesmal den 1. August im malerischen Bergell, genauer gesagt in Bondo, verbracht – der Heimat meiner Vorfahren. Das verlängerte Wochenende bot mir die perfekte Gelegenheit, die Biennale Bregaglia 2024 zu besuchen. Bondo wurde nämlich nach einem offenen Dialog mit der lokalen Bevölkerung als diesjähriger Hauptausstellungsort im Bergell ausgewählt.
Am Sonntagmorgen schloss ich mich einer Führung durch die verschiedenen Kunstwerke der Biennale an, geleitet von Annemieke Buob. Mit ihren detailreichen und spannenden Erklärungen gab es selbst für jemanden wie mich, die fast alle Ferien ihrer Kindheit in diesem Dorf verbracht hat, neue und interessante Einblicke zu gewinnen.
Bondo ist ein idyllisches Dorf am Anfang des Bondasca-Tals und liegt an er Hauptverbindungsstrasse zwischen den Süd- und Nordalpen. Die Gassen sind eng und verwinkelt mit historische Bauten geschützt von ortstypischen Granitdächern. Auch die Vegetation ist vielfältig: Es gibt sorgfältig gepflegte Gärten, Blumenwiesen, Nadelwälder und Kastanienselven. Bondo ist übrigens eines der letzten Dörfer vor der italienischen Grenze.
Die nach dem Bergsturz (2017) begonnenen und bis heute andauernden Sanierungsarbeiten – mitten in der Talenge klafft eine Grossbaustelle am Flussbett – verändern sowohl die architektonische als auch die landschaftliche Identität des Dorfes kontinuierlich.
Für die diesjährige Biennale hat eine internationale Jury zehn Kunstprojekte von nationalen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern ausgewählt. Diese Projekte beschäftigen sich mit den sozialen, geschichtlichen und politischen Strukturen des Tals – alles vor der beeindruckenden Kulisse der Schweizer Alpen.
Kuratiert wurde die Biennale Bregaglia 2024 von Misia Bernasconi, und das Rahmenprogramm erstreckt sich über das gesamte Bergell – von Isola in der Schweiz bis nach Chiavenna in Italien. Das diesjährige Thema «Architektur und Gärten» steht dabei im Fokus. An insgesamt acht Standorten können Besucher:innen das kulturelle Erbe der Region entdecken.
Kunst, die Brücken schlägt
Die Kunstschaffenden zeigen eindrucksvoll, wie harmonisch die Welten von Architektur und Gärten miteinander verbunden werden können – die Biennale bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte, die den Ort auf ganz neue Weise erlebbar machen.
Ein ganz besonderes und sehr bewegendes Beispiel ist der Film «Besuchen gehen» von Lea Schaffner. Der Film erzählt die Geschichte eines Gartens und der Beziehung seiner Besitzerin zum Gärtnern. Nachdem sie durch den Bergsturz ihr Haus verloren hat, ist ihr nur noch der Garten geblieben.
Sensibilität und Vielfalt
Ein zentrales Merkmal der Biennale ist die Sensibilität gegenüber der Geschichte und den Menschen des Ortes. Dies wird eindrucksvoll durch Werke wie «A World Between the Lines» von Lisa Collomb verkörpert. Für ihre Installation wählte Collomb ein Crotto in Bondo. Dabei handelt es sich um einen traditionellen Steinkeller, der an den Fels gebaut wurde. Ursprünglich wurde er als natürliches Kühlsystem genutzt, um Lebensmittel kühl und frisch zu halten. Buob erklärt: «Das Besondere an diesen Crotti ist der Luftzug aus dem Fels, der für eine konstante Temperatur von etwa 4-10 °C sorgt. Perfekt für die Reifung von Wein, Wurstwaren und Käse.» Die Crotti stehen symbolisch für die Symbiose von natürlicher und gebauter Umwelt.
Collombs Werk, eine illusionäre Lichtskulptur, die die Wahrnehmung der Betrachter herausfordert, verwendet das Medium der Punktwolke, um den «Zwischenraum» darzustellen und eine visuelle Darstellung zu schaffen, die den Titel des Projekts widerspiegelt.
Farbenfrohe Begegnungen
Ein weiteres Highlight der Biennale ist der «Jardín de los Alpes Tropicales» an der Friedhofsmauer von Bondo. Die kolumbianische Künstlerin Juliana Rios Martinez hat hier eine beeindruckende Wandmalerei geschaffen, in der lokale Blumen und Tiere auf tropische Pflanzen treffen.
Ihre Arbeit, die sich mit Fragen der Identität, Gemeinschaft und der Bedeutung von Farben im Alltag auseinandersetzt, entstand in enger Zusammenarbeit mit der Dorfbevölkerung, die Blumen aus ihren Gärten für das Gemälde beisteuerte.
Die traditionelle Sgraffito-Technik, die Martinez in diesem Projekt verwendet, ist ein Kunsthandwerk, das die Engadiner- und Bergellerhäuser ziert. Diese Technik hat sich die Künstlerin eigens für dieses Werk beigebracht und in ihrer Heimat geübt. Das Ergebnis ist ein farbenprächtiges Kunstwerk, das die Vielfalt und Schönheit der Natur hervorhebt. Mit ihrer farbenfrohen Arbeit möchte Martinez zum Wiederaufbau von Bondo beitragen und die Geschichte des Ortes ehren.
Die Biennale Bregaglia 2024 zeigt bis zum 28. September, wie Kunst mit der Umgebung interagieren kann. Mit dem Fokus auf «Architektur und Gärten» präsentiert sie die kulturellen und natürlichen Facetten des Bergells und lädt zur Reflexion und Entschleunigung ein.