«Die Aufgabe des Architekten ist es, die Scheidungsrate so niedrig wie möglich zu halten», erklärte Richard Neutra, der 1892 in Wien geboren wurde, mehrheitlich in den USA lebte und 1970 in Wuppertal verstarb. Der Schüler von Adolf Loos, Louis Sullivan und Frank Lloyd Wright gehörte zur internationalen Architektenprominenz, bezeichnete sich selbst als architektonischen Missionar und wäre auch unter die Stadtplaner gegangen.
Dann hätten wir Fabriken in den Innenstädten, die Menschen lebten in den Grüngürteln, nah an der Natur, fern von gesundheitsschädlichen Reizen. Wir hätten breite Gehwege und die geschäftigen Fahrradwege fern davon, damit der Fussgänger schreitet und nicht durch den Radfahrer im Rücken gehetzt wird. Sprich, Richard J. Neutra war ein Mann, der seiner Zeit voraus und mit dem Fensterblick ins nächste Jahrhundert ausgestattet war. Dem nicht entgangen war, dass der Mensch unter einer permanenten Reizüberflutung stand und den er mit seiner Idee des Biorealismus aus der Gefahrenzone holen wollte. Was sollte helfen? Ein richtig gestaltetes Haus, kein statisches Gehäuse, sondern ein Spiegel des Naturgeschehens und eine immerwährende Erfrischung für Geist und Seele.
Ein Haus als Landschaftspark
Richard Neutra gelang dies nicht nur in Kalifornien, sondern auch in Wuppertal Elberfeld. Dort, wo die Strassen enden, die grünen Wipfel rauschen, steht das denkmalgeschützte Haus Pescher. Es geht auf die 60 Jahre zu, und doch verkörpert der aus zwei Kuben bestehende Bungalow eine Modernität, als sei er gerade erst entworfen worden. «Wir hatten nicht das Gefühl, in ein altes Haus zu ziehen», erzählt Max Pescher, als er die Haustür öffnet. Seit vier Jahren wohnt er mit seiner Frau Laura und den Kindern Jakob und Toni-Luise in dem Haus, das sich sein Grossvater Mitte der 1960er-Jahre von Richard Neutra bauen liess.
Der erste Eindruck des grosszügigen Wohnzimmers, das vom Flur aus erschlossen wird: kein Innenraum – ein Landschaftspark. Bodentiefe Fensterfronten holen den Garten mit den weiten Rasenflächen, den fast zehn Meter hohen Rhododendren, skulpturalen Azaleen und Baumriesen ins Innere. Den Eindruck von Natur im Wohnbereich verstärken spiegelnde «Reflection Pools». Dabei handelt es sich um wenige Zentimeter tiefe Wasserbecken, die kleine Winkel zwischen Wohnzimmer und Terrasse bilden.
Erst beim Präsidenten, dann in Wuppertal
Die Pläne für das Haus entstanden, als Max Peschers Grossvater Günter Pescher, Unternehmer in der Natursteinbranche, mit seiner Frau zahlreiche Architekturbücher und -zeitschriften wälzte. Das war Anfang der 1960er-Jahre. Während die Wuppertaler Gesellschaft und ihre Freunde in Gründerzeitbauten residierten, wünschte sich das Ehepaar mit seinen beiden heranwachsenden Söhnen, 12 und 13 Jahre alt, ein Haus, das Treffpunkt und Ort der Familie sein sollte. Ohne Vorhänge, aber mit viel Licht. Mit Räumen, in denen Kunstwerke und Möbel zur Geltung kommen. Ein Haus, das seiner modernen Vorstellung vom Wohnen entsprach. Das Paar beobachtete, wie Neutra in Wuppertal eine Villa für den Unternehmer Kemper baute und schrieb dem kalifornischen Architekten. Es bekam mit einiger Verspätung Antwort. Der Brief habe ihn erst später erreicht, gestand Neutra, weil er im White House beim Präsidenten der USA weilte.
Richard Neutra, der Stararchitekt aus Kalifornien, liess sich auf eine zweite Villa in Wuppertal ein. Es entstand eine umfangreiche Korrespondenz, welche die Familie Pescher aufgehoben hat. Drei Ordner, die dokumentieren, wie nachhaltig gedacht, geplant und umgesetzt wurde. Vom Architekten ebenso wie vom Bauherrn. Und wie daraus nicht nur ein Auftrag entstand, sondern ein intensiver Austausch zweier Männer, die beide umfassend gebildet waren, sich für unterschiedliche Aspekte von Kultur und Leben interessierten und in ihren Biografien Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte fanden. Kurzum: Es entstand ein grosser Wurf. Ein Haus, technisch und gedanklich so modern, dass es viele heutige Neubauten hinter sich lässt. Ein ausgeklügeltes, begehbares System von Leitungen und Revisionsschächten ermöglicht den schnellen Zugriff. Direkte und indirekte Beleuchtung unter den Decken, in den Regalen, unter dem Sofa und im Park waren ihrer Zeit voraus. Einbauschränke aus Teakholz nehmen den Alltag, die Bedürfnisse und Interessen der Bewohner auf. Nischen und Durchreichen lassen sich öffnen oder verbergen. Insgesamt drei Terrassen, eine davon mit Infrarotheizung, erschliessen die grosse Bühne und das Naturschauspiel Garten.
Der Wohnbereich ist in zwei Kuben aufgeteilt. Im Inneren werden die Baukörper durch fünf Treppenstufen markiert, welche die oberen, eher kleinen Schlafräume vom unteren, öffentlichen Bereich trennen. Der grösste Raum ist dem Wohnen, dem Alltag und dem Familienleben gewidmet. «Ich bin überzeugt, dass Bungalowhäuser das schönste Wohngefühl bieten», stellt Pescher fest.