Apples ist ein beschauliches Dorf in der Romandie. Auf dem Weg in die oberhalb von Morges gelegene Gemeinde kann Regen schnell zu Schnee werden. So geschehen Ende März, als wir Guy Meldem erstmals besuchen. Hier wuchs der Grafiker und Künstler auf. Als Jugendlicher war ihm das Dorf zu ruhig. Er zog nach Lausanne, um Grafikdesign an der ECAL zu studieren. Heute unterrichtet er an dieser Schule. Nach einigen Jahren Berufstätigkeit als freier Grafiker hängte er dieser Ausbildung einen Master in visuellen Künsten an. Im Niemandsland zwischen Disziplinen fühlt sich Meldem bis heute wohl. Sein Abstecher in die Welt des Designs erstaunt daher keineswegs. Nachdem er eine Zeitlang zwischen Berlin und Lausanne gependelt war, kehrte er während der Pandemie in die Schweiz zurück und verlegte sein Atelier in eine Scheune des Landwirtschaftsbetriebs seiner Eltern. Meldem nutzte diesen «Back to the roots»-Moment, um etwas ganz Neues zu starten. Ursprünglich als Buchprojekt gedacht, vertiefte er sich immer mehr in das Herstellen von Möbelobjekten. Nach dem Erfolg der ersten Kollektion erweiterte er das Projekt. Mittlerweile kann er die Ruhe in Apples geniessen.
Sie sind ausgebildeter Grafiker und Künstler. Woher rührt Ihr Interesse für Möbeldesign?
GUY MELDEM: Ich habe mich schon während des Studiums dafür interessiert. Mich fasziniert das Thema Struktur und auch die Materialität von Dingen stand schon früh im Fokus meiner Arbeit. Ebenso Überlegungen zur Funktionalität von Objekten sowie zum kreativen Prozess als solchem.
Sie wollten nach Ihrer Rückkehr in die Schweiz ein Buch machen über Ihre bisherige Arbeit. Wie kam es dazu, dass Sie eigene Möbel fertigten?
GM: Ich hatte ein Atelier auf dem Land, viel Platz und Zeit und ich war umringt von Materialien. Ich hatte zunächst die Idee, möbelartige Skulpturen zu machen, um sie dann zu fotografieren. Ich merkte bald, dass ich meine technischen Fähigkeiten verbessern wollte. Zu diesem Zweck ging ich in die «Ateliers J & J» nach Brüssel. Einer der Gründer ist ein Freund von mir und er fand, ich müsse am Komfort der Stücke arbeiten. Mir hat es dann den Ärmel reingezogen. Ich habe daraufhin während zweier Jahre eine kleine Kollektion entwickelt. Dazu entstand auch ein Katalog.
Wie waren die ersten Reaktionen darauf?
GM: Die Kollektion hatte Erfolg. Ich habe damit begonnen, die Möbel des Katalogs auf Anfrage zu produzieren. Dass dieses Projekt so gut laufen würde, hätte ich nicht gedacht.
Mich erinnert die Do-it-yourself-Ästhetik der Stücke an Enzo Mari und sein Projekt «autoprogettazione» aus den 1970er-Jahren. Ist dieser Look gewollt?
GM: Ja, Enzo Mari ist eine grosse Referenz für mich, gerade weil auch er grafisch tätig war. Ich mag zwar diesen rohen Look, aber für mich stand nicht das Aussehen im Vordergrund, sondern die Entscheidung, die Möbel auch preislich zugänglich zu machen. Hätte ich sie stärker bearbeitet, hätte das mehr Aufwand bedeutet. Ich wollte etwas Bequemes und Solides machen, das eine gewisse Patina entwickeln darf. Das war zumindest die Grundidee hinter der ersten Kollektion. Ich habe gerade zu Beginn mit vorgefundenen Materialien gearbeitet. Mittlerweile muss ich Werkstoffe dazukaufen.
Mir scheint, die simple Machart hat in ökologischer Hinsicht auch andere Vorteile.
GM: Auf jeden Fall. Es gibt wenig Grundmaterialien, man kann die Möbel gut auseinandernehmen und sie lassen sich problemlos reparieren. Es ist ein modulares System mit einfacher Bauweise. Eine weitere Inspirationsquelle war für mich der amerikanische Designer und Architekt Ken Isaacs, der für seine «Living Structures» bekannt wurde.
«Ich möchte meine Spontanität in Bezug auf Möbeldesign bewahren.»
Welche Rolle spielt die Grafik, also die Sicht von aussen beim Projekt «Meubles Meldem»?
GM: Meine Arbeit als Grafiker hatte ohne Zweifel grossen Einfluss auf dieses Projekt. Überhaupt die Schweizer Grafik mit ihrer Idee des Rasters. Die Kollektion arbeitet gezielt mit Proportionen. Auch die Rolle der Farbe basiert auf einem grafischen Denken. Ich möchte diese Spontanität in Bezug auf Möbeldesign beibehalten.
Man spürt auch den künstlerischen Ansatz stark. Bei den Preisen sind Sie aber auf dem Boden der Realität geblieben. Wie kommt das?
GM: Ich habe bewusst damit gespielt und Gemälde in die Kollektion «geschmuggelt». Die Möbel sind auch ein kritischer Kommentar zum Kunstmarkt mit seiner höchst intransparenten Preispolitik. Ich wollte den Objekten den Nimbus des Kunstwerks nehmen.
Wie sind Sie bei der Preisgestaltung vorgegangen?
GM: Ich bin vom Stundenlohn eines Handwerkers in der Romandie ausgegangen. Das ist der Vorteil beim Design: Es gibt weniger Spekulation. Dieses Modell entspricht mir, ich möchte mir selbst treu bleiben können.
Wie haben Ihre Kolleg:innen aus der Kunst und der Grafik das Projekt aufgenommen?
GM: Sehr positiv. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass ich das Gefühl habe, damit meinen Platz gefunden zu haben. Das vereinfacht einiges. Und auch in der Designwelt kommen meine Möbel gut an. Das hat mich am meisten erstaunt und freut mich sehr. Ich möchte die starren Codes der Disziplinen aufbrechen. Die Stücke sollen etwas Hybrides bewahren.
Produkte von Guy Meldem
Weitere Informationen: www.meublesmeldem.com