
Die österreichische Grafikdesignerin und Gestalterin Andrea Gassner gründete 2018 das Atelier Andrea Gassner in Feldkirch, Vorarlberg.
Das Atelier Andrea Gassner arbeitet an der Schnittstelle zwischen Kommunikation, Raum und Gestaltung und erweitert so den Begriff Grafik-Design in ein breitgefächertes Gestaltungsfeld. Hohe Aufmerksamkeit misst das Atelier den Inhalten sowie den Sprachen der unterschiedlichen Zielgruppen zu. Oft könnte man die Gestaltungsarbeit des Ateliers schon beinahe als künstlerische Intervention bezeichnen. Dabei geht es aber nie um den rein formalen Selbstzweck – die Absicht, ein bestimmtes Kommunikationsanliegen mit guter Gestaltung wirksam zu vermitteln, steht stets im Vordergrund.
Beim bereits umfangreichen Œuvre des noch jungen Ateliers greifen oft unterschiedliche Arbeitsfelder wie Wording und Grafik-Design, interaktives digitales Design und räumliche Gestaltung ineinander. So etwa bei einem der jüngsten Projekte des Ateliers – «verywood». Andrea Gassner und ihr Team wurde vom Vorarlberger Architektur Institut beauftragt, die österreichische Holzarchitektur in einer Sonderschau im Foyer des Nakanoshima Museum of Art in Osaka im Rahmen der Expo 2025 zu präsentieren. Key visual war eine Installation mit drei übergrossen Origami-Faltwerken aus Holzplatten in unterschiedlichen Öffnungsstadien. Oder auch bei den szenografischen Gestaltungsarbeiten für das Museum Henry Dunant im Appenzeller Bezirkskrankenhaus in Heiden: Die Engmaschigkeit der Raumfolge und der thematische Umfang erforderten ein schlüssiges Drehbuch, wofür das Atelier räumliche und grafische Gestaltungselemente auf engstem Raum verwob.
Im Interview haben wir mit Andrea Gassner über einige aktuelle Projekte im Bereich der Signaletik gesprochen. In der Signaletik geht es um die Wegleitung und Orientierung in grösseren Gebäuden, ein Bereich, der die Beziehung zwischen Grafik und Architektur besonders hervorhebt, wo aber auch die zielgruppengerechte Kommunikation eine grosse Rolle spielt. So hat das Atelier zum Beispiel ein taktiles Leitsystem für die Alters- und Pflegeeinrichtung Zehntfeld sowie auch diverse interaktive Signaletikprojekte für Kinder realisiert.
Wie sind Sie zum Bereich der Signaletik gekommen? Was fasziniert Sie daran?
Andrea Gassner: Das hat sicher etwas mit meinem Interesse für Architektur zu tun. Meine Eltern waren gemeinsam mit einigen Gleichgesinnten Mitglieder einer Baugruppe, die in den frühen 1970ern jene Siedlung realisierten, in der ich aufgewachsen bin. Diese Siedlung »Ruhwiesen« ist inzwischen ein Baudenkmal und gilt als Pionierwerk zeitgemässer Architektur. Wahrscheinlich werden wir durch unsere Umräume unbewusst geprägt und gebildet. Prägend für mich war auch das Masterstudium in der St. Joost School of Art & Design im niederländischen Breda. Nach der Grafik-Design-Grundausbildung in der Schweiz lehrte man mich dort den Umgang mit Bedeutungen in der Gestaltung und setzte es oft in räumlichen Übungsfeldern um. So mussten wir beispielsweise einmal zu einem bestimmten Thema ein Objekt für die Mitte eines stark befahrenen Kreisverkehrs gestalten und die Entwürfe der Stadtvertretung vorstellen. Schwierige Aufgaben im öffentlichen Raum zu lösen oder die Atmosphäre eines räumlichen Objekts für Kommunikationsarbeit zu nutzen, sind genau die Herausforderungen, die mir gefallen. Grafik-Design, Kunst und Architektur zu einem kommunikativen Erlebnis zu verschmelzen, ist für unser Atelier zu einer Art Markenzeichen geworden.

Die unterschiedlichen Oberflächenstrukturen der Handläufe in der Alters- und Pflegeeinrichtung Zehntfeld in Widnau...

... geben den Bewohner:innen Orientierung und Sicherheit im Alltag.
Wie kam die Idee auf, die haptische Ebene in die Signaletik zu integrieren?
AG: Es macht mir Freude, immer wieder die Grenzen dessen, was machbar oder zumindest üblich ist, zu untersuchen und manchmal auch zu verschieben. Bei der Alters- und Pflegeeinrichtung Zehntfeld in Widnau (CH) waren es die anspruchsvolle Architektur aber auch ermunternde Ansprüche der Architekten Cukrowicz Nachbaur, die mich ermutigt haben, grundsätzlich über Orientierungssysteme für solche Einrichtungen nachzudenken. Im besten Fall sind signaletische Elemente, ganz gleich ob es sich um Gebäudekennzeichnung oder um Wegführung handelt, ein Teil der Architektur und nicht etwa eine lästige Notwendigkeit. Wir waren uns bewusst, dass in solchen Einrichtungen das kognitive Verhalten der Nutzergruppen allein schon aus Altersgründen eingeschränkt ist. Und, aufgrund eigener Erfahrungen ahnte ich, dass das, was wir mit unseren eigenen Händen begreifen und ertasten können, nachhaltig in Erinnerung bleibt. Das führte mich zur Haptik und letztlich zu den für solche Einrichtungen baurechtlich vorgeschriebenen Handläufen. Es gab zwei Trakte und drei Stockwerke. Die Grundorientierung im begehbaren Raum sollte diese sechs unterschiedlichen Möglichkeiten markieren. Wir entwickelten also sechs verschiedene, auch blind gut differenzierbare Strukturen für die aus Holz gefertigten Handläufe. In der Produktion wurden sie alle von Hand gedrechselt, Laufmeter für Laufmeter. Die Kernidee war, dass Menschen sich intuitiv, durch sinnliches Begreifen, ebenso daran erinnern können, wo sie sich gerade aufhalten, wie durch schriftliche Informationen.
«Im besten Fall sind signaletische Elemente, ganz gleich ob es sich um Gebäudekennzeichnung oder um Wegführung handelt, ein Teil der Architektur und nicht etwa eine lästige Notwendigkeit.»
Wie war die Zusammenarbeit mit den Bewohner:innen der Alters- und Pflegeeinrichtung Zehntfeld? Was haben Sie dabei gelernt?
AG: In einem Workshop mit alten Menschen untersuchten wir, wie wir sie mit taktilen Mitteln bei der Orientierung unterstützen können. Anfangs waren wir unsicher: Würden wir überhaupt Bewohner:innen finden, die an unserem Workshop teilnehmen möchten? Und erst recht: würde sich jemand für etwas so Spezifisches interessieren? Überraschenderweise kamen viele Bewohner:innen und brachten echtes Interesse und Neugierde mit. Unter den Teilnehmenden waren Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen – darunter ehemalige Architekt:innen und Handwerker:innen ebenso wie Personen mit Sehbeeinträchtigungen oder kognitiven Einschränkungen wie Demenz. Es war faszinierend zu erleben, wie unterschiedlich sie Strukturen wahrnehmen, an welchen Stellen Schwierigkeiten entstehen. Gemeinsam mit den alten Menschen im Haus untersuchten wir verschiedene Holzarten, Oberflächen und Formen.
Ich wurde darin bestätigt, gestalterisch nicht nur visuell zu denken und zu planen, sondern in die Tiefe und Breite der Wahrnehmung zu gehen. Das bedeutete in diesem Fall, sich mit den Bewohner:innen auseinanderzusetzen, um die Bedeutung der Sinnesreize für die Orientierung einschätzen zu können.
Wie war es, für Kinder zu gestalten? Wie haben Sie sich in ihre Sichtweise hineinversetzt?
AG: Verspieltheit, Neugierde und die Lust am Entdecken sind Eigenschaften, die wir selbst mitbringen, und die uns helfen, die Welt aus Kinderaugen zu betrachten. Ihre Sicht ist oft direkter, intuitiver – gerade das macht die gestalterische Auseinandersetzung so spannend.
Für das Familienzentrum «allesamt» – eine wunderschöne, fast märchenhafte Holzarchitektur mit ovalen Fensteröffnungen von Architekt Christian Schmölz – durften wir die Signaletik gestalten. Die Zielgruppe waren Kinder. Nur begrenzt konnten wir uns daher auf Schrift stützen und stellten das Piktogramm in den Mittelpunkt der Kommunikation. Um die Aufmerksamkeit zu steigern und dem Spieltrieb der Kinder entgegenzukommen, sind die Zeichen in deren Griffhöhe angebracht und lassen sich bewegen und verändern. So warten bunte Scheibchen auf einem Teller darauf, neu angeordnet zu werden, bei den Schlafräumen sind es Augen, die sich schliessen und öffnen lassen, beim Raumelement für Sport und Bewegung ist es ein Fussball, der sich drehen lässt, und bei den Ruheräumen »reiten« die Buchstaben auf Wellen. Um die Sprache der Architektur weiterzuführen, basiert die Gestaltung auf dem Kreis als Grundform. Die Wegleitung beginnt schon auf der Strasse. In der nahegelegenen Unterführung machen riesige Punkte an Wand und Decke auf sich aufmerksam. Punkte finden sich zusätzlich als Bodenmarkierungen auf Gehsteigen, am Parkplatz und auf dem Weg zum Haus. Übergeordnetes Ziel für die bunte und spielerische Gestaltung ist es, die Identifikation in diesen Ort von Kindern und Familien zu fördern.
Wie stark die Nutzungsgruppen die Gestaltung beeinflussen können, wird klar, wenn wir die Signaletik für Kinder als Zielgruppe mit signaletischen Anforderungen für Jugendliche, zum Beispiel in Schulen, vergleichen. Hier setzten wir Schrift ganz bewusst ein, oft auch mit interaktiven Effekten oder als dreidimensionales Design, um didaktisch in die Welt der Buchstaben und der Schrift einzutauchen.
«Ich denke, wir haben als Designer:innen die Verantwortung, neue Antworten auf Fragen der Orientierung und Kommunikation im Raum zu finden.»
Was macht für Sie gute Signaletik aus?
AG: Gute Signaletik zeichnet sich durch Klarheit, Verständlichkeit und eine nutzerorientierte Gestaltung aus. Sie unterstützt Menschen dabei, sich intuitiv und ohne Umwege zurechtzufinden; unabhängig von Sprache, Alter oder Vorkenntnissen. Eine gute Signaletik berücksichtigt den Kontext, die Architektur sowie das Kommunikationsziel der Auftraggebenden – im besten Fall schafft sie gute Orientierung und vermittelt zugleich die Identität und Atmosphäre eines Ortes. Ich denke, wir haben als Designer:innen die Verantwortung, neue Antworten auf Fragen der Orientierung und Kommunikation im Raum zu finden.
Weitere Informationen zum Atelier Andrea Gassner: atelierandreagassner.at