Mehr Poesie und Eigensinn

Interview mit Simone Züger

«Soft Walls» war ein Highlight der letztjährigen Zurich Design Weeks – ein Gemeinschaftsprojekt von Simone Züger und Marie Schumann. Die Installation hüllte das Museum für Gestaltung in ein sinnliches Spiel aus Stoff und Farben und öffnete die Konversation, wie Farbe und lebendiges Material unsere Raumwahrnehmung verändern.

Zügers fluide Kreationen sprechen für den Zeitgeist, denn sie lassen sich nur schwer einordnen und fungieren als Bindeglied zwischen Kunst und Design. Dabei spielen sie nicht nur mit unseren Sinnen, sondern schaffen Verbindung. Diese Nahbarkeit in der experimentellen Ausdrucksweise ist ein zentrales Merkmal von Zügers Arbeit, die in ihren Werken, von Malerei über Wohnobjekte bis Installationen, immer wieder zum Ausdruck kommt.

Nun präsentiert die gebürtige Appenzellerin ihre erste Mode-Kollaboration «Club du Bonheur». Für diese hat sie exklusiv mit dem nachhaltigen Zürcher Label Collectif mon Amour zusammengespannt. Entstanden sind einzigartige Stücke, welche die Leichtigkeit des Sommers einfangen und die unverkennbare Handschrift von Simone Züger tragen: experimentell, frisch und einem einzigartigen Sinn für kräftige Farbnuancen. Im Interview sprechen wir mit Simone Züger über ihre neue Kollektion, was sie glücklich macht und was sie in der heutigen Welt vermisst.

Eine Frau im Porträt

Simone Züger präsentiert ihre erste Mode-Kollaboration «Club du Bonheur», die in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Label Collectif mon Amour entstanden ist.

Du experimentierst immer wieder mit Textilien und Stoffen. Nun präsentierst du deine erste Kleider-Kollaboration – was reizte dich daran?
Simone Züger: Mich interessiert es, losgelöst von den gängigen Designtrends Leben in die Umgebung von Menschen zu bringen. Ich spiele gerne mit der Funktion, der Ästhetik und der Seele von Objekten, unabhängig vom Material und vom Medium, das ich gerade nutze. An der Kollaboration reizte mich insbesondere, die Kleidung als Leinwand zu benutzen.

Die Kleidungsstücke tragen deine unverkennbare Handschrift und wurden teils von dir selbst von Hand besprüht. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
SZ: Mit dem Spiel von klaren, schwarzen Zeichnungen und einem kräftigen Farbauftrag vermitteln die Designs das Gefühl von Leichtigkeit, Freiheit und Freude. Im Studium wurde meine Strichführung gelobt und bis heute ist es ein zentraler Bestandteil meiner Arbeiten. Design bedeutet für mich, dass etwas nie starr sein darf. Durch meinen Aufenthalt nach meinem Studium in New York, fiel mir auf, wie nüchtern und rasterbasiert das Schweizer Design mitunter ist. Ich tauchte ein in die bunte, multikulturelle Szene der amerikanischen Metropole und ein neuer Kosmos ging auf: Ich realisierte, dass man meinen Stil in der Arbeit spüren darf und entdeckte meine Handschrift wieder. Seitdem arbeite ich viel intuitiver. Ein weiteres Momentum, das meine Arbeit geprägt hat, war, als ich als Artist in Residence auf einer Insel in Schweden nur Spraydosen mitgenommen habe und so bemerkte, dass diese meinen linearen Stil gut ergänzte. Das Sprayen befreit mich, da es spontan und überraschend ist.

Welche neuen Herausforderungen zeigten sich mit dem Projekt?
SZ: Live auf Leinwand oder Objekte zu sprayen, bin ich mir gewohnt. Doch einen Print zu erstellen, dessen Muster danach digital in bestimmten Abständen wiederholt wird, war für mich eine Herausforderung. Auch mussten wir ein paar Prototypen produzieren lassen, bis wir die richtige Farbintensität hatten, da sich die Drucke auf unterschiedlichen Stoffen anders verhalten.

Konntest du die Kollektion frei zusammenstellen oder gab es Vorgaben seitens des Labels? Was war dir persönlich wichtig bei der Kollektion?
SZ: Es sollte bewusst etwas anderes sein als die Basic Kollektionen von Collectif mon Amour – mutig, eigenständig, charakteristisch. Vorgaben gab es aber keine. Es war eine sehr schöne Zusammenarbeit, die im Ping-Pong und Austausch entstanden ist.

Model mit türkis-grünem Langarmshirt und schwarzer Sonnenbrille.

Die Capsule Collection umfasst einzigartige Stücke, welche die Leichtigkeit des Sommers einfangen und die unverkennbare Handschrift von Simone Züger tragen.

Model seitlich stehend mit schwarzem langem Blazer und Cap.

Unter der zehnteiligen Kollektion befinden sich besprayte und unifarbene Tops, Blazer, Shorts, Laptoptaschen und Caps.

Welche Materialien habt ihr verwendet? 
SZ: Wie bei Collectif mon Amour üblich sind alle Teile dieser Kollektion nachhaltig produziert. Nachhaltigkeit liegt mir sehr am Herzen, so wurde unter anderem auch für die Produktion dieser zehnteiligen Capsule Collection auf kurze Transportwege geachtet. Nachhaltigkeit ist für mich in meinem Schaffen ein Selbstverständnis. Als Designer:in hat man auch eine gewisse Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Für mich heisst das vor allem, dass wir kreislauffähige Produkte kreieren und einen kritischen Blick auf das Bestehende werfen müssen. 

Welches ist dein Lieblingsstück der Kollektion?
SZ: Das Foulard, denn es enthält viele kleine Details – zum Beispiel ein französisches Gedicht über Glück, das über alle vier Kanten verläuft, vier kleine Sonnen mit je einem Gesicht in den Ecken und grosse Sonnenstrahlen mitten über das Foulard. Ich hatte bestimmt 40 Entwürfe gemacht, bis ich mit dem finalen Design zufrieden war. Das Foulard gibt es in zwei Farben – schwarz und grün, wobei das Grün nochmals verstärkt den Club du Bonheur aufnimmt.

Du sagts es gerade, die Capsule Collection trägt den Namen «Club du Bonheur» und vermittelt ein Gefühl von Freude und Leichtigkeit. Was macht dich glücklich?
SZ: Meine Familie, meine zwei kleinen Kinder, Freunde, die Natur und Yoga machen mich glücklich. Und dass ich mit meinem Designstudio Projekte angehen und umsetzen kann, die mich faszinieren, die mich fordern und welche die Grenze zwischen Kunst und Design aufbrechen. Wir arbeiten immer häufiger auch installativ, mit Objekten und im Interior Design.

Nebst deiner Kunst bist du als Unternehmerin und Aktivistin tätig und setzt dich für finanzielle Gleichberechtigung von Frauen ein. Was gibt dir Mut und die Kraft mit diesen Themen immer wieder laut zu werden?
SZ: Am Anfang meiner Selbständigkeit fehlte mir der Austausch unter Frauen und Gleichgesinnten. Nach dem Studium der Visuellen Kommunikation an der ZHdK ist mir aufgefallen, dass ich mich immer an Design Studios orientierte, die von Männern geführt waren. So habe ich in Zürich die Eventreihe «Ladies, Wine & Design» initiiert, um Frauen in der Kreativbranche zu vernetzen und um sich gegenseitig zu unterstützen. Zudem war ich Vorstandsmitglied von Medienfrauen Schweiz. Im Jahr 2021 gründete ich das Fintech-Start-Up ellexx mit, wo ich seither als Chief Innovation Officer tätig bin. Wir sehen Geld als die letzte Frontlinie zur Gleichstellung.

Ein Tuch

Dieses Foulard ist das Lieblingsstück der Designerin aus der Kollektion.

Eine Frau mit Kopftuch

Es enthält viele kleine Details wie ein französisches Gedicht über Glück, das über alle vier Kanten verläuft, ...

... vier kleine Sonnen mit je einem Gesicht in den Ecken und grosse Sonnenstrahlen mitten über das Foulard.

Model mit offenen langen dunklen Haaren und weissem T-Shirt und schwarzem Foulard um den Hals.

Erhältlich ist die Collectif mon Amour x Simone Züger Kollektion im Collectif mon Amour Flagship Store, BIG Viadukt, BIG ShopVille und unter collectifmonamour.com.

Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung sind konstante Merkmale deiner (Arbeits-)Welt. Kannst du Kunst von Aktivismus trennen oder anders gefragt, ist Kunst für dich auch ein Ausdruck von Aktivismus?
SZ: Definitiv kann Kunst auch Ausdruck von Aktivismus sein. Ich hinterfrage Standards und es ist mir wichtig, Ungleichheit zu thematisieren und soziale Fragestellungen performativ anzugehen. Natürlich gibt es klassische Wege, es lohnt sich aber, Konventionen nicht immer als einzige mögliche Regel für die Zukunft zu akzeptieren. Das bringt Fortschritt und Veränderung. Vorletzte Woche beim Frauenstreik habe ich mit einer künstlerischen Aktion Schablonen mit «Fix the System, not the Woman» vorbereitet. Jede Frau konnte ein Shirt, Tasche oder Hemd mitbringen und ich habe die Aussagen plakativ auf die mitgebrachten Kleider gesprayt. Das System muss sich verändern, nicht die Menschen. Gründe zum Streiken gibt es viele: Frauen bekommen immer noch weniger Lohn und tiefere Renten. Sie übernehmen mehr unbezahlte Arbeit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in Wirtschaft und Politik noch immer ein Problem.

Deine Wurzeln liegen im Appenzellerland, inwiefern beeinflusst dich deine Heimat in deinem Leben und Schaffen?
SZ: Die Landschaft ist sehr fein, hügelig und poetisch. Diese Attribute nutzte ich auch in meiner Arbeit. Design mit Poesie und Ideen kann kritisch sein und Dinge in Frage stellen oder ihnen bis an die Wurzeln auf den Grund gehen. Im Appenzellerland geniesse ich die Natur, die Ruhe und die klare Luft. Ich brauche oft den Ausblick von einem Berggipfel, um wieder den Überblick, eine Klarheit und innere Ausrichtung zu spüren. Deshalb gehe ich in Zürich oft hoch zur Waid oder in einem Hochhaus in die oberste Etage. Dieser Weitblick erdet mich.

Was wünschst du dir, mehr zu sehen in dieser Welt?
SZ: Charakter statt Standard – Wohnräume und Objekte brauchen wieder mehr Persönlichkeit und Charme, um den individuellen Lebensstilen gerecht zu werden. Viele Wohnungseinrichtungen sehen gleich aus. Es gehört meiner Meinung nach aber zum Wesen des Menschen, sich und seine Welt ständig neu zu erschaffen. Da fehlt mir momentan Individualität, Einzigartigkeit und Charakter. Je mehr Poesie und Eigensinn, desto vielfältiger wird die entworfene Welt.

Was inspiriert dich zurzeit am meisten?
SZ: Ich bin eine Träumerin und Realistin zugleich. Ich habe angefangen Gebrauchsgegenstände, deren Präsenz normalerweise wenig Beachtung geschenkt wird, ins Zentrum zu stellen, wie etwa Kabelleisten, WLan-Geräte, usw. – Dinge, die im Wohnraum zwar unabdingbar, aber unschön anzuschauen sind. Mich fasziniert es, wie daraus etwas Neues, Überraschendes entstehen kann. So entstehen funktionale Kunstobjekte, die für mich weit mehr als nur praktische Gebrauchsgegenstände sind, denn sie tragen eine Seele in sich, welche die Besitzer und Betrachter:innen gleichermassen berühren. Als Beispiel ein Objekt von mir: «La Poire». Eine überdimensionale, zweiteilige, skulpturale weisse Birne, welche als nützliches Wohnaccessoire dient. Hergestellt wurde die Birne im ressourcenschonenden 3D-Druck-Verfahren und bietet Platz für Kabel, Modems und andere unansehnliche Dinge.

www.simonezueger.ch

Überdimensionale, zweiteilige, skulpturale weisse Birne aus dem 3D-Druck, welche als nützliches Wohnaccessoire dient.

«La Poire» ist eine überdimensionale, zweiteilige, skulpturale weisse Birne, welche als nützliches Wohnaccessoire dient, das unschöne Gegenstände verstauen kann.