Tribut zollen

2. Etappe: Umbau am Zürcher Rennweg

Mitte Juni, als dieser Bericht entsteht, klafft ein grosses Loch auf der Baustelle der beiden Liegenschaften am Rennweg 14 und 16. Die Erdgeschossplatte wurde vollends entfernt und das Gebäude auf provisorischen Stahlstützen und -trägern abgestützt. Das ganze Haus wird noch um gut einen Meter untergraben. Die alten Wände, die teils aus dem 14. Jahrhundert stammten, werden neu fundiert. «Diese Unterfangungen können nur in kleinen Etappen erfolgen, ansonsten würde das Haus Risse bekommen und im schlimmsten Fall die Wände einstürzen», meint Roman Oberholzer, der für Property One die Bauarbeiten leitet. Mehrere Mulden Schutt- und Erdmaterial werden aus dem Keller geholt und wegtransportiert. Ein enormer Aufwand.

Die Arbeiten in den oberen Wohnetagen der Liegenschaft ruhen zurzeit. Die Wände und Böden sind so weit abgetragen und rückgebaut, dass ein neuer Aufbau der Schichten möglich ist. Historisch wertvolle Substanz wie zum Beispiel alte Parkette und Täfer wurde teilweise zur Seite gelegt, um neu verbaut werden zu können. Auch wenn im Moment nicht daran gearbeitet wird, so geht es doch in den oberen Geschossen um Meilensteine weiter.

Die Substanz inspirierte den Umbau.

Bestehendes, wie etwa alte Holztäfer, Stuckaturdecken oder Riegelwände, wird ins Innenraumkonzept aufgenommen und ergänzt oder weiterentwickelt.

Der Boden wurde abgetragen nun erfolgt ein neuer Aufbau.

Orientierung am Bestehenden

Unter dem Titel «Privée» werden die oberen Wohnetagen weiterentwickelt und geplant. Vorgesehen sind vier individuelle Mietwohnungen, die jeweils ein ganzes Geschoss – im Dach sogar zwei Geschosse – einnehmen. So profitiert jede Wohnung von den unterschiedlichen Raumqualitäten, welche die Zimmer am Rennweg jenen gegenüber dem Lindenhof aufweisen. 

«Die tiefen Geschosse mit einer Strassen- und einer Hofseite waren eine der Herausforderungen in der Neukonzeption der Grundrisse», meint Jasmin Grego, deren Büro für die Planung des Innenausbaus beauftragt wurde.

«Jede Wohnung ist jedoch einzigartig und wir haben versucht, auf diese Individualität einzugehen.»

Im Gegensatz zum Einheitsbrei des Neu-Wohnungsbaus, den zum Beispiel Finn Canonica in seinem Brief an einen Architekten im «Magazin» des «Tagesanzeigers» Nr. 20 vom 19. Mai 2018 bemängelt und der auf eine Bildsammlung im Zusammenhang mit dem Schweizer Beitrag an der  Architekturbiennale in Venedig reagiert,  bestimmt hier einerseits die Geschichte, die geschützte Bausubstanz, aber auch die Lage am Rennweg mit seinen bunten Fassaden die Farbigkeit der Wohnungen und die Raumabfolgen. 

«Wir sind Zimmer für Zimmer, Etage für Etage durchgegangen und haben uns mit der bestehenden Substanz auseinandergesetzt», erzählt Jasmin Grego. Im 2. OG wurden zum Beispiel Täfer mit bis zu zehn Farbschichten gefunden. Die neu vorgeschlagenen Farbwelten basieren im Wesentlichen auf der Farbigkeit diverser Gebäude in der Zürcher Altstadt. Dabei geht es nicht darum, in eine historisierende Verklärung dieser Farbwelten zu verfallen, sondern die Farben und Muster für die heutige Zeit zu interpretieren. Auch die Detaillierung des Innenausbaus kann das historische Handwerk in einer zeitgenössischen Umsetzung zitieren. Ein Beispiel sind die Fronten der Küchen, welche gestemmt ausgeführt werden können, aber mit zirka drei bis vier Zentimeter Rahmenbreite filigraner und moderner erscheinen als in der traditionellen Ausführung.

 

Material- & Farbtafeln: Aufgrund des Vorgefundenen entstehen neue Farb- und Materialkonzepte, die sich an diesem Ort und für diese Architektur gut eignen.

Flexibilität in der Nutzung

Wenn Jasmin Grego von ihrer Arbeit erzählt, kommt sie ins Schwärmen. Farben, Oberflächen, Muster und eine mögliche Möblierung bekommen anhand von Farb- und Materialtafeln sowie möblierten Plänen auf einmal ein Gesicht, und man kann sich gut vorstellen, wie es sich in diesen Räumen zukünftig wohnen lässt. Ist es einfacher, den Innenausbau von Mietwohnungen zu planen als Eigenheime zu gestalten, bei welchen der Bauherr noch ein Wörtchen mitzureden hat?

«Wir zollen dem Ort und der Architektur des Gebäudes bei all unseren Arbeiten Tribut. Es versteht auch ein privater Bauherr, dass er gut beraten ist, auf die Gegebenheiten einzugehen, Vorhandenes zu stärken und Neues so zu platzieren, dass eine möglichst grosse Wirkung entsteht. Die Flexibilität in der Nutzung ist bei jedem Objekt ein Thema – egal ob Mietwohnung oder Eigenheim. Der Umbau am Rennweg ist insofern speziell, da jede Wohnung ihre Eigenheiten aufweist – spezielle Raumgeometrien, geschützte Bausubstanz und unterschiedliche Niveaus. In der Nutzung soll sie aber doch so flexibel sein, dass verschiedene Mieterprofile möglich sind. Dies stellt eine grosse Herausforderung an den Innenausbau. In den Wohnungen am Rennweg zeigt sich aber, dass Flexibilität nicht mit Gesichtslosigkeit, weissen Wänden und bündigen Oberflächen einhergehen muss.»

Der Wohngrundriss im 2. Obergeschoss.

Die Ausgabe der ersten Umbauetappe finden Sie hier: Eine Metamorphose. Wie der Bauprozess vorankommt, erfahren Sie im kommenden Monat.