Der Architekt Hans Demarmels (1931– 2010) war ein Pionier, der nie Architektur studiert hatte, sondern sich während seiner Bauzeichnerlehre zusätzlich zum Maurer und Zimmermann ausbilden liess. Er war ein Idealist, der nach einem vergeblichen Versuch, im Atelier von Le Corbusier in Paris zu arbeiten, mit seiner Vespa Spanien, Italien und Griechenland bereiste, um sich danach im Libanon niederzulassen. Er zog nach Beirut und entwickelte ein System aus Betonelementen für die einfache und zeitsparende Erstellung von Wohnhäusern, doch aufgrund der Julirevolution 1958 musste Hans Demarmels den Nahen Osten überstürzt verlassen. In Zürich baute er zwischen 1963 und 1965 drei nebeneinanderliegende monolithische, skulpturale Wohnhäuser aus Sichtbeton – das mittlere, ein Einfamilienhaus mit verschiedenen Wohnebenen, nutzte er für sich und seine Familie. Die brutalistisch anmutenden Gebäude stehen mittlerweile unter Denkmalschutz.
Die Maison Cazenave ist eine ikonische Skulptur und besticht durch ihre konsequente Haltung.
Den Ansatz mit verschiedenen Ebenen, die sich um einen Kern gruppieren, die skulpturalen Raumfolgen gepaart mit naturbelassenen Materialien und groben Wandstrukturen wendet Hans Demarmels auch bei der Maison Cazenave in der ländlichen Nouvelle Aquitaine nahe der französischen Atlantikküste an. Der Auftrag, eine direkte Anfrage für einen Entwurf und das daraus resultierende Projekt, nimmt Bezug auf die Landschaft und die klimatischen Bedingungen. Entstanden ist ein einzigartiges Haus, das sich stark an der Sonne orientiert und mit den Lichtstimmungen immer wieder andere Einblicke und Ausblicke gewährt. Die diversen kompromisslos angeordneten Fensterflächen sind nach Himmelsrichtung und Ausblick konzipiert, mit einem grossen Verständnis für die Anforderungen der Bewohner. Es gibt fast geschlossene Fassaden und solche, deren Fensterflächen einen grossartigen Ausblick auf die Pyrenäen zulassen. Auch die Raumfolgen wechseln spielerisch von gross zu klein, von weit zu eng, von hoch zu niedrig, sodass sie immer wieder aufs Neue überraschen.
Die sorgfältig renovierten Innenräume faszinieren durch ihre Vielschichtigkeit.
Die ursprünglichen Eigentümer, ein Schuhfabrikant und seine Frau, haben das Haus um die Jahrtausendwende herum verkauft. Die zweiten Besitzer schätzten zwar die Lage, das grosse Gebäude und den riesigen Garten, fühlten sich jedoch in keiner Weise der modernen Bauweise verpflichtet. Durch diverse Renovationen verwandelten sie das grosszügige Raumgefüge in eine gutbürgerliche, traditionelle Wohnlandschaft. Die heutigen Besitzer, beides Architekturenthusiasten, entdeckten das Haus vor ein paar Jahren auf dem Verkaufsportal einer Pariser Tageszeitung. Es war Liebe auf den ersten und viel Arbeit auf den zweiten Blick. Bei jedem noch so kleinen Eingriff fanden sie Bruchteile der ursprünglichen Struktur, sorgfältig ausgerichtete Fensterbänder, die zugemauert waren, oder den ehemaligen Bodenbelag. Begeistert von der Grossartigkeit der lichtdurchfluteten Architektur, berieten sie sich mit Architekten und Bauunternehmern, liessen das Notwendige machen und übernahmen einen grossen Teil der Bauarbeiten gleich selbst. So schafften es die beiden, die Maison Cazenave wieder in ihren urpsrünglichen Zustand zurückzubauen. Nur wenige Änderungen machten sie aufgrund der eigenen Bedürfnisse – so wurden zum Beispiel die Badezimmer für heutige Standards angepasst.
Die Maison Cazenave zeigt einerseits, dass moderne Architektur lebt, andererseits, wie in einer Architekturikone gelebt wird – unkompliziert, gelassen und mit grosser Selbstverständlichkeit. Die beiden Besitzer sind très sympa und begeisterte Gastgeber, man wird äusserst freundlich empfangen und kompetent über Geschichte und Architektur informiert. Das Haus ist Mitglied der Stiftung Iconic Houses und kann auf Voranmeldung besichtigt werden.