Die neo-ägyptische Villa Typhonium in Wissant an der französischen Atlantikküste wurde 1891 vom Architekten Edmond Devigne für ein Künstlerpaar gebaut. Das Gebäude ist ein monumentaler Klotz, mit Jugendstilelementen verziert. Es liegt fast zugewachsen in den Dünen, von aussen kaum einsichtbar. Es ist ein Haus, das kontroverse Ansichten herausfordert, keiner Regel untergeordnet und keiner bekannten Architektursprache zugeeignet. Fassaden und Terrassen sind seit 1985 Bestandteil der Monuments Historiques.
Die der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Villa gelang 2016 zu neuer Berühmtheit. Der französische Regisseur Bruno Dumont drehte seine Aussenszenen des Filmes «Ma Loute» (die feine Gesellschaft) – eine skurrile Komödie über Kannibalen und die Touristen der besseren Gesellschaft, mit Juliette Binoche, Valeria Bruni Tedeschi und Fabrice Lucchini. Das war auch ein Grund, der Geschichte dieses sehr speziellen Gebäudes nachzugehen.
Wissant ist ein kleiner Ort an der französischen Kanalküste. Der Name bedeutet Weisser Sand und entstand aufgrund der weiten Sandstrände mit Dünen und Naturschutzgebieten. Auf einer dieser Dünen liegt die imposante Villa Typhonium. Fasziniert von der Architektur des alten Ägypten und ohne jemals dort gewesen zu sein, beauftragten das Künstlerpaar Adrien Demont und Virginie Demont-Breton den belgischen Architekten Edmond Devigne mit der Umsetzung ihrer Vorstellungen. Edmond de Vigne (1842 – 1918) war ein belgischer Architekt des Historismus, seine Bauten repräsentierten die damals beliebten Spielarten des Eklektizismus. Das Haupthaus im neo-ägyptischen Stil wurde 1890/91 mit Steinen aus dem Marmorbruch von Marquise und aus Backsteinen gebaut, mit Zement verputzt und durch eine grosse Terrasse aus Beton ergänzt.
Die 1911 entstandene Erweiterung beinhaltete ein monumentales Portal, inspiriert von den Toren Denderahs in Ägypten. Für dieses entwarf Virginie Demont-Breton ein Flachrelief mit einem Bild ihrer Familie in altägyptischer Kleidung – und dem legendären Flugzeug von Blériot, einem legendären Holzflugzeug aus der Pionierzeit der Fliegerei, welches an die erste Überquerung des Ärmelkanals vom 25. Juni 1909 erinnert.
Die Villa Typhonium erhielt ihren Namen aufgrund der Ähnlichkeit mit den kleinen, ägyptischen Tempeln, welche in Denderah und Edfou gefunden wurden. Das Äussere ist weitgehend im Originalzustand erhalten.
Im Inneren beherbergt die Villa Typhonium mehrere Wohnungen und Ateliers. Bis zum 2. Weltkrieg diente sie als Künstlerkolonie «Ecole de Wissant», wo sich viele bekannte Maler*innen und Bildhauer*innen trafen und austauschten, dort wohnten und arbeiteten. Wissant unterschied zu dieser Zeit drei Orte, welche sich kaum jemals trafen: das traditionelle Dorf, den Badeort und die Künstlerkolonie von Adrien Demont und Virginie Demont-Breton. Das Haus war mit einer Mischung aus altägyptischen Einflüssen und Jugendstil-Elementen ausgestattet. Die mit neo-flämischen Holzvertäfelungen versehenen Innenräume wurden während des zweiten Weltkrieges durch ein Feuer zerstört. Wissant war nach 1940 unter deutscher Besatzung, welche den Angriff der Aliierten an dieser Küste erwartete.
Die Villa ist immer noch in Familienbesitz und kann grundsätzlich nicht besichtig werden. Ausnahme bilden die Tage des Denkmals, an welchen ein Rundgang möglich ist.