Diesen Sommer erkunden wir die Schweiz. Dabei lässt sich beim Wandern in den Schweizer Bergen auch eine Menge architektonischer Trouvaillen entdecken. Reto Westermann, diplomierter Architekt ETH und Buchautor von «Architektur erwandern», hat fünf Tipps für die freien Sommertage.
Sichtbetonkubus als Dessert
Die Leventina ist mehr als nur ein Transittal für die Gotthardautobahn. Das zeigt sich etwa auf der lauschigen Wanderung von Bodio über die Alp Faidàl nach Giornico. Nach einem längeren Aufstieg verschwindet der Lärm der Autobahn und man wandert durch die südlich geprägte Landschaft. Quasi das Dessert bildet am Schluss ein Besuch in der vom Zürcher Architekten Peter Märkli entworfenen «La Congiunta» – einem fast ganz aus Sichtbeton bestehenden Ausstellungsgebäude mit Werken des Künstlers Hans Josephson ein paar Minuten ausserhalb von Giornico. Den Schlüssel für die Türe muss man übrigens vorab in der Osteria an der Hauptstrasse im Ort abholen.
Brücke vom Meister
Keiner baute schönere Brücken als der 2018 verstorbene Bündner Ingenieur Christian Menn. Eines seiner Meisterwerke – die Sunnibergbrücke – steht unterhalb von Klosters im Prättigau. Erwandern lässt sie sich beispielsweise auf einer Tagestour von Davos-Platz aus. Sie kann gleich auch noch mit einer Besichtigung des Kirchner-Museums von Gigon und Guyer verbunden werden. Von dort aus geht die Wanderung am Davosersee entlang, über den Wolfgangpass und hinunter nach Klosters. Bald schon taucht dann die Brücke auf, die vom Weg zum Ziel in Serneus unterquert wird.
Schutzmäntel in Silber und Rot
Die Berglandschaft östlich des Val Sumvitg im Bündner Oberland lässt nicht nur die Herzen von Bergwanderern sondern auch von Architekturfans höher schlagen. Auf der zweitägigen Tour von Tenigerbad nach Pardé an der Lukmanierpassstrasse wandert man durch saftige Bergwiesen und quert stotzige Übergänge. Übernachtet wird in der vom lokalen Architekturbüro Gujan und Pally erweiterten Medelserhütte des SAC. Der Anbau von 2007 ist durch silberfarbenes Blech vor der Witterung geschützt. Beim Abstieg nach Pardé passiert man am zweiten Tag das vom selben Büro stammende Stallgebäude auf der Alp Puzzetta – auch dieses hat einen Schutzmantel aus Blech, jedoch in auffälligem Rostrot.
Die Vorzeigeautobahn
Eine Wanderung zu Autobahntunnels und deren Abluftschächten tönt auf den ersten Blick wenig attraktiv. Doch im Jura zwischen Glovelier und St. Ursanne ist das Gegenteil der Fall. Denn die schön gestalteten und gut in die Landschaft eingepassten Infrastrukturbauten der Transjurane stammen aus der Feder des Architektenduos Flora Ruchat-Roncati und Renato Salvi. Die gut dreistündige Wanderung führt vom Bahnhof Glovelier aus über La Caquerelle hinunter ins beschauliche St. Ursanne. Auf halber Strecke kann man den filigranen Abluftschacht des Tunnels Du Mont-Russelin besichtigen, der tief unter den Füssen im Berg verläuft und kurz vor St. Ursanne sieht man die konisch geformten Tunnelportale sowie die Autobahnbrücke, die hier ein Seitental quert.
Zumthors Frühwerk
Das 1996 eröffnete Thermalbad in Vals hat den Architekten Peter Zumthor weltberühmt gemacht. Weniger bekannt aber unbedingt einen Besuch wert ist die acht Jahre zuvor von ihm entworfene Kapelle in Sumvitg im Bündner Oberland. Sie ersetzt einen Vorgängerbau, der durch eine Lawine zerstört wurde. Das in der von Zumthor gewohnten Präzision gestaltete und ganz aus Holz bestehende kleine Gotteshaus lässt sich gut mit einer schönen Wanderung verbinden. Diese führt auf dem Höhenweg «Senda Surselva» in gut dreieinhalb Stunden vom Dörfchen Schlans aus an der Kapelle vorbei bis nach Sumvitg.
Details zu den fünf Touren sowie zwei Dutzend weitere Architekturwanderungen finden sich im Buch «Architektur erwandern» (Werd-Verlag, ca. 50 Franken).