Bibbidi-Bobbidi-Boni

Johnston Marklee x Knoll International

Ta-daaa! «Biboni» – halb Nudel, halb Reifenpower.

Flashback nach Mailand, zum Salone del Mobile, am Stand von Knoll International. Ich bin mit Architekt und Neu-Designer Mark Lee vom Architekturbüro Johnston Marklee verabredet, es geht um das neue Sofa, «Biboni» heisst es, mal schauen, was sich hinter dem Namen verbirgt. Es ist ziemlich voll, PR-Lady Barbara Hickl begleitet mich zum Sofa: «Er ist gleich da, was möchtest du trinken?» Ein Blick auf das sahneweisse Polster und ich bestelle «nur ein Wasser, danke». Und dann kommt auch schon Mark Lee ums Eck. Elegant gleitet er neben mich aufs Sofa und dann geht's auch gleich los.

Wie würden Sie denn den Salone del Mobile in drei Sätzen beschreiben?

Mark Lee: Die ganze Messe?

Ja.

ML: Da reichen keine drei.

Okay, Sie dürfen so viel Sie wollen.

ML: Ich denke, es ist ein Zoo. Wie verschiedene Tiere, die zusammen auf der Arche Noah gefangen sind...

Sie wissen schon, dass ich das Gespräch aufzeichne…?

ML: (Lacht) Oh ja. Ich denke, ein Zoo ist etwas sehr Interessantes, denn es sind sehr unterschiedliche Dinge, die ausserhalb ihres normalen Kontextes zusammengebracht werden. An vielen der Ständen sehe ich quasi eine Simulation dessen, was ihr Kontext sein könnte. Die Möbel sind Tiere, mal in einem Haus, mal in einem Atelier. Das ist es, was ich mir unter einer Kunst- oder Möbelmesse vorstelle: Viele Dinge nebeneinander, die man nicht erwarten würde.

Warum, glauben Sie, brauchen die Menschen gutes Design?

ML: Als Architekt, der sich hauptsächlich auf Gebäude konzentriert, ist es das erste Mal, dass ich Möbel entwerfe. Aber ich erinnere mich an Adolf Loos, der einmal sagte, dass das, was man baut, Architektur ist, und das, was schwebt, Möbel sind. Ich denke, das ist eine gute Unterscheidung. Generell finde ich, dass gutes Design die Art zu leben verbessert. Manchmal ist gutes Design sehr offensichtlich und manchmal ist gutes Design sehr versteckt.

In einem früheren Interview haben Sie bei der Beschreibung eines Designerlebnisses die Begriffe Spektakel und gewöhnlich verwendet. Was soll Design denn sein? Spektakulär? Gewöhnlich? Beides?

ML: Ich bin da nicht dogmatisch. Es gibt immer einen Aspekt, der spektakulär oder gewöhnlich ist. Und manchmal muss ein Design spektakulär sein, um zu funktionieren. Aber meistens muss es gewöhnlich sein. Ich meine nicht gewöhnlich im Sinne von langweilig und redundant. Der Künstler Jeff Koons sagt, dass man in jedem Kunstwerk etwas braucht, das einen fünf Sekunden lang anzieht, und etwas anderes, das einen fünf Minuten lang verweilen lässt. Was dich für fünf Sekunden anzieht, muss nicht extravagant sein, aber es muss mehr als gewöhnlich sein, es muss etwas sein… wie heisst das Wort nochmal bei Bertolt Brecht... Verfremdung.

Warum ist das so?

ML: Gewöhnlich zu sein, bedeutet nicht, dass es nichts Spektakuläres gibt, aber ich denke, das Spektakuläre kommt ein bisschen später. Gute Dinge sind ein wenig geheimnisvoll, sie zeigen nicht sofort, was sie sind. Man muss tiefer in die Materie eindringen und nach dem suchen, was es ist. Ich mag Dinge, die so sind, mehr als Dinge, die einem entgegenschreien: Hey schau mich an, ich bin spektakulär! Wenn man tiefer geht, ist da meist nicht viel. (Lacht) Hm, ergibt das Sinn?

Ich denke schon, würde allerdings ein weiteres Beispiel begrüssen…

ML: (Lacht wieder) Okay. Also ich hatte ja Adolf Loos erwähnt, und ich denke, dass seine Architektur diese Qualität einer Vorstellung von «Zivilisation» hat. Seine Begriffe sind vielleicht nicht mehr zeitgemäss, aber er spricht davon, dass ein Haus von aussen wie ein Gentleman aussehen muss, und man deshalb im Inneren verrückt sein kann. Es gibt also einen gewissen «Anstand» in Bezug auf die Art und Weise, wie man zusammenlebt im Gegensatz zu wie man privat lebt. Für mich ist das eine sehr interessante Idee, egal wie man zu einem bestimmten Aspekt der Gesellschaft steht.

 

Architekt und Neu-Designer Mark Lee vom New Yorker Architekturbüro Johnston Marklee sammelt in seiner Freizeit Michelin-Männchen.

«Biboni» Makkaroni: Finde die Nudel…

Eileen Gray, «Bibendum Chair», 1926

Lassen Sie uns mal über ihr neues Sofa «Biboni» sprechen. Was hat Sie dazu inspiriert? 

ML: Ganz klare Sache: Das Michelin-Männchen! Ich habe sogar meine Kollektion zu Dekorationszwecken hierher mitgebracht. Der Name ist eine Kombination aus zwei Wörtern: Das eine ist Bibendum, also der Name des Michelin-Männchens, und das andere ist Makkaroni. Eine der ersten Inspirationen für dieses Sofa war Eileen Grays «Bibendum Chair», der 1926 entworfen wurde. Sharon (Anm.d.Red.: Sharon Johnston ist Gründungspartnerin des Büros Johnston Marklee und hat gemeinsam mit Mark Lee das Sofa entworfen) und ich lieben Eileen Grays Arbeit aus vielen Gründen, aber einer davon ist, dass sie immer etwas sehr Modernes und Radikales mit etwas Konservativem zusammenbringt. Der «Bibendum Chair» hat die Proportionen eines Chesterfield-Stuhls aus dem 19. Jahrhundert, der einen umarmt, aber dann stellt Gray ihn auf ein Stahlrohrgestell, was ihn sehr modern macht. Solche Dinge lieben wir. Als wir über unseren Entwurf nachdachten, sahen wir uns an, wie 1926, also vor rund 100 Jahren, die Bauhaus-Möbel immer eine reine Form hatten. Geradlinig, schlicht und dynamisch im Schnitt. Heute können wir ergonomischer denken, deshalb hat «Biboni» zweidimensionale Kurven.

Und wo kommt da jetzt die Makkaroni ins Spiel?

ML: (Lacht) Na schauen Sie sich mal die Form an. Sieht doch aus wie überdimensionale Makkaroni aufeinandergestapelt. Aber mal im Ernst, es geht dabei auch darum, wie sich das Sofa faltet. Es ist nicht nur extrudiert (Anm.d.Red.: Eine Verfahrenstechnik zur Herstellung plastisch verformbarer Massen) wie die gleichlangen Elemente bei Eileen Grays «Bibendum Chair». «Biboni» zeigt Ellbogen. (Lacht) Makkaroni ist im Englischen übrigens die Ellbogen-Nudel. Deshalb auch der Name: Bibendum + Makkaroni = Biboni.

Hatten Sie einen Freibrief für Ihren Entwurf oder gab es ein strenges Briefing?

ML: Es war ziemlich offen. Knoll wollte ein Sofa, das nicht zu gross ist, und um das man auch herumlaufen kann. Man kann es von hinten sehen – eigentlich von überall, da es ein eigenständiges Stück ist. Uns war es wichtig, dass das Stück auch gut zu anderen Designs passt, das haben wir aber erst wirklich gesehen, als es fertig war.

Wie einfach war es, von der Architektur zum Möbeldesign zu wechseln?

ML: Für mich war es tatsächlich eine Herausforderung. Ich bin seit vielen Jahren ein Möbelliebhaber und Sammler von Möbeln. Der Grund, warum ich keine Möbel entwerfen wollte, ist, dass ich schon so viele grossartige Werke gesehen habe und mich frage, warum ich dieser bereits perfekten Welt noch ein Stück hinzufügen soll? Ich habe mich viele Jahre immer wieder mit Jonathan Olivares von Knoll ausgetauscht, und dann hat er mich und Sharon schliesslich gefragt, ob wir nicht ein Stück zusammen machen. Wir haben einfach das Gefühl, dass wir zur richtigen Zeit, das richtige Team, nämlich Knoll, gefunden haben, um zusammenzuarbeiten. Und es ist auch wirklich wunderbar gelaufen.

 

 

Hübsch anzusehen von jeder Seite. «Biboni» ist bewusst für eine 360-Grad-Ansicht gestaltet.

Dass das Sofa auch mit anderen Designs des Unternehmens zusammenpasst, war für Mark Lee und Sharon Johnston beim Entwerfen ein Muss.

Ellbogen zeigen. «Biboni» setzt sich aus den Worten Bibendum und Makkaroni zusammen. Letzteres im Englischen Ellbogen-Nudel.

Wie wichtig ist der technische Aspekt bei Ihren Möbeln? Vor allem, wenn Sie sie entwerfen?

ML: Ich muss sagen, dass wir hierbei sehr viel vom Knoll-Team profitiert haben, weil wir wenig Erfahrung damit hatten. Es gibt gewisse Ähnlichkeiten mit der Architektur, z. B. der Massstab, die Struktur, die Gewichtsverteilung. Auf einer sehr grundlegenden Ebene ist es also dasselbe. Aber in Bezug auf die Massenproduktion und die Art und Weise, wie die Dinge angepasst werden, haben wir viel vom Knoll-Team gelernt. Dafür waren wir sehr dankbar. Ein Designprojekt ist immer eine Reise, und sie ist immer lehrreich.

Welche Rolle spielt KI bei all dem?

ML: Das ist ein Thema, das mehr im akademischen Kontext als bei meiner Arbeit diskutiert wird. Als Architekt würde ich mit meiner Arbeit gerne einen Schritt voraus oder einen Schritt hinterher sein. Denn das gibt mir eine andere Perspektive auf das, was jetzt ist. Ich bin offen für KI und dafür, wie sie beispielsweise die Art und Weise des Schreibens verändert. Aber ich bin mir noch nicht ganz sicher, wie sie das Design verändern wird. Ich finde es für den Anfang eines Projektes sehr nützlich, wenn man eine Inspiration hat. Aber das ist nie eine Designlösung. Um wirklich Möbel zu entwerfen, muss man das, was die KI generiert hat, beiseite legen und dann traditionell arbeiten.

Die Leute erwarten immer eine Erklärung zur Idee hinter dem Design. Aber sollte ein Stück nicht selbsterklärend sein?

ML: Ja, absolut. Sobald es fertig ist, verlässt es das Haus des Designers. Es gehört der Welt, egal ob es sich um ein Gebäude oder ein Möbelstück handelt. Aber ich bin auch nicht dogmatisch, wenn es darum geht, das Stück nicht zu erklären. Ich glaube nicht, dass ein Werk auf eine Erklärung angewiesen ist. Ich denke, das geschriebene Wort ist ein Vermittler. Die Qualität eines Stücks ergibt sich zu 90 Prozent aus dem Stück selbst, aber manchmal kann eine Geschichte, eine Beziehung, die restlichen 10 Prozent, eine Verbindung herstellen. Sie kann Bedeutung schaffen, aber ich denke, ein gutes Stück muss sich nicht darauf verlassen.

 

www.knoll-int.com

www.johnstonmarklee.com