
Aus der Vogelperspektive wird sichtbar, wie sich «Farm is Table» in die Struktur der Landschaft einfügt – als stilles Erdwerk, das die klassische Idee des gemeinsamen Essens neu verhandelt.
Mit «Farm is Table» verschmolzen für einen Abend Architektur, Landwirtschaft und Kulinarik zu einem Setting, das den Begriff «Lokalität» wörtlich nimmt: Die Tischplatte war Ackerboden, die Sitzplätze waren in der Erde eingegraben und Wildblumen wuchsen zwischen Tellern und Besteck hindurch.
Das Projekt entstand als Teil von «A New Futurist Cookbook», in dem Allan Wexler und Michael Yarinsky insgesamt zehn experimentelle Dinners entwickeln – jedes als eigenständige Versuchsanordnung, um die Formen des Essens, Teilens und Wahrnehmens neu zu denken. Statt Geschwindigkeit und klassische Ästhetik rücken hier Nähe, Sinnlichkeit und das bewusste Hinsehen ins Zentrum. Die Zusammenarbeit mit Treiber Farms, mit Chefköchin Caroline Hahm und mit dem Landwirt und Künstler Peter Treiber Jr. verankerte das Projekt tief in der lokalen Infrastruktur und liess Kunst und Landwirtschaft ineinandergreifen, bis die Grenzen verschwammen.
Es entstand ein aussergewöhnliches Dinner-Setting, das weniger als modernes Spektakel inszeniert war, sondern als direkte, ungestylte Begegnung mit der Erde, aus der Nahrung entsteht. Ein Abend, der Rückfragen stellt: Wo beginnt ein Tisch? Wo endet Landschaft? Und wie verändert sich unser Verhalten, wenn die Erde nicht Hintergrund ist, sondern Teil der Handlung?
Im Interview sprechen Allan Wexler und Michael Yarinsky über die Entstehungsidee, über Futurismus und über die Frage, wie ein Tisch die Verbindung zwischen Mensch, Essen und Umgebung verschieben kann.
Wie ist die Idee zu «Farm is Table» entstanden? Gab es einen bestimmten Moment, der euch dazu inspiriert hat, das klassische «farm-to-table»-Modell umzudrehen und den Tisch selbst zum Acker werden zu lassen?
Allan Wexler und Michael Yarinsky: Die Idee entstand bei einem Spaziergang über die Farm. Mit jedem unserer zehn futuristischen Dinner wollen wir eine Essens-Typologie herausfordern – manchmal ein Picknick, manchmal ein Familienessen, manchmal eine Teestunde, und in diesem Fall ein farm-to-table-Dinner. Beim Rundgang über das Feld entwickelten Michael und Peter Treiber Jr. das Konzept, den Tisch in die Landschaft einzubetten. Als wir es Allan vorstellten, stellte sich heraus, dass er bereits 1983 einen Schnitt dieses Tisches gezeichnet hatte. Da wussten wir, dass wir etwas gefunden hatten.
Euer Projekt platziert den Tisch direkt im Feld – Wildblumen wachsen hindurch, die Sitzplätze liegen im Boden. Wie seid ihr den Dialog zwischen Landschaft, Materialität, Architektur und Esskultur angegangen? Was bedeutet es für euch, körperlich im Boden «verwurzelt» zu sein?
AW und MY: So gut es ging, ist das Projekt – im Rahmen des Machbaren – ehrlich und präzise in seiner Idee von Hyperlokalität. Der Tisch und die Stühle sind die Oberfläche der Farm selbst (Farm Is Table!). Alles andere, was wir benötigten, wurde in einem Radius von fünf Meilen beschafft – die Kräuter und Salate hauptsächlich von Treiber Farms und ergänzt durch Nachbarbetriebe, der Fisch aus dem Long Island Sound, gleich hinter der Baumgrenze der Farm, und sogar das weisse Geschirr wurde an einer Strassenecke in der Nähe von Wexlers North Fork Long Island Studio gefunden. Wir sind immer wieder überrascht davon, wie stark der menschliche Faktor in unseren ungewöhnlichen Dining-Szenarien wirkt. In der Erde verwurzelt zu sein, wirkt von aussen vielleicht fremd, fühlt sich in der Praxis jedoch vertraut und instinktiv an. Die umgebenden Pflanzenreihen wurden zu Wänden und luden zu einer natürlichen und intensiveren Interaktion zwischen den Gästen ein.
Ihr bezieht euch auf futuristisches Denken, unter anderem auf F. T. Marinettis The Futurist Cookbook. Inwiefern hat es eure Arbeit beeinflusst – und wie interpretiert ihr es aus einer zeitgenössischen, ökologischen Perspektive neu?
AW und MY: Das Futurist Cookbook war seinerzeit sowohl absurd als auch revolutionär – es behandelte Essen als Performance, Provokation und sensorisches Experiment. Damit öffnete es die Tür zu der Idee, Nahrung als Gesamtkunstwerk zu denken: ein Medium, das Körper, Intellekt und Vorstellungskraft gleichzeitig anspricht. Mit «Farm is Table» wollten wir diesen experimentellen Geist aufnehmen – aber seine Werte umkehren. Marinettis Futurismus feierte Geschwindigkeit und Technologie des modernen Lebens. Wir fragen heute: Was, wenn die Zukunft langsamer, lokaler und gemeinschaftlicher ist? Unsere Neuinterpretation ist also keine Nostalgie für den ursprünglichen Futurismus, sondern eine Umlenkung seiner Energie. Wir behalten die futuristische Intensität der Sinne und die performative Haltung bei, nutzen sie jedoch, um ökologische Aufmerksamkeit, Inklusivität und Bewusstsein für die Systeme zu fördern, die Leben ermöglichen.
Das Menü bestand aus Produkten der Farm, serviert auf Tellern, die ein Künstler aus landwirtschaftlichen Werkzeugen gefertigt hat. Wie navigiert ihr die Grenze zwischen Design, Ritual und echter landwirtschaftlicher Praxis?
AW und MY: «Farm is Table» existiert genau in diesem Überlappungsbereich – dort, wo Kunst und Landwirtschaft, Ritual und Realität ununterscheidbar werden. Design wird zum Ritual, wenn es Verhalten formt – wie Menschen sitzen, teilen, schmecken und wahrnehmen. Landwirtschaft wird zur Kunst, wenn der Akt des Kultivierens als schöpferische Geste verstanden wird. Durch das Eingraben der Tischstruktur in die Erde und die Nutzung von Werkzeugen der Farm als Servierobjekte verschwimmen diese Kategorien. Das Ritual des Essens wird zu einer Art des Sehens – zu der Erkenntnis, dass Produktion und Konsum, Machen und Essen Teil eines einzigen, durchgängigen Ökosystems sind.
«Farm is Table» wirkt wie eine Einladung, unsere Beziehung zur Erde, Nahrung und Produktion neu zu betrachten. Welche Fragen möchtet ihr beim Publikum auslösen?
AW und MY: Wir hoffen, dass die Erfahrung Menschen dazu bringt zu fragen, wie unsere gebaute Umwelt uns entweder mit den natürlichen Systemen verbindet oder von ihnen trennt – und was passiert, wenn der Akt des Essens wieder in direkten Kontakt mit der Erde kommt. In der zeitgenössischen Kultur wird Essen oft ästhetisiert, stilisiert und von seiner Herkunft entfernt. «Farm is Table» ist ein Widerstand dagegen. Indem wir Menschen auf Bodenhöhe sitzen lassen – umgeben von Unkraut, Wurzeln und Wildblumen – bringen wir eine Art Demut und Intimität zurück. Wir hoffen, dass die Teilnehmenden spürten: Die Linie zwischen Natur und Kultur, zwischen Machen und Wachsen, ist viel dünner, als wir annehmen. Das Essen war nie Spektakel, sondern Bewusstsein – ein gemeinsames Anerkennen, dass der Boden unter uns nicht Kulisse, sondern Kollaborateur ist.
Wie stellt ihr euch die Weiterentwicklung des Konzepts vor? Könnte es in einen urbanen Kontext übersetzt werden?
AW und MY: Wir präsentieren diese Konzepte im Rahmen von «A New Futurists Cookbook» als zehn eigenständige Experimente des Essens – in dem vollen Bewusstsein, dass Menschen sie aufnehmen, verändern und erneut interpretieren könnten… und hoffentlich eine tiefere Botschaft darin entdecken, nämlich, dass Leben sowohl evokativ als auch provokative Qualitäten haben darf. Wir wünschen uns, dass sie das Kernkonzept des Buches und der Arbeiten in ihrer eigenen Praxis weiterführen – und damit die Frage herausfordern, wie wir in Zukunft leben könnten.

Wo der Gedanke zu «Farm is Table» Formen annimmt: Die beiden Initianten Michael Yarinsky und Allan Wexler.