«Wir sind Farb-Nerds»

Atelier: Meyers & Fügmann

Die zwei Frauen sind in ihrem Atelier und lächeln in die Kamera.

Die beiden in Luxemburg geborenen Designerinnen lernten sich im Tram auf dem Weg zur Kunsthochschule kennen.

Heike Makatsch holpert mit ihrem Lastenrad um die Ecke, eine Schülergruppe verschwindet im John-Lennon-Gymnasium und in einem Hinterhof-Eingang hängt der kleine Hinweis auf Samson Cioma-Schönhaus – einen der berühmtesten Passfälscher des Zweiten Weltkriegs, ein junger Grafiker, der vielen Juden das Leben rettete. Berlin Mitte – eine Reise durch die Zeit. Sonnenlicht spielt auf alten Gründerhaus-Fassaden und führt direkt in den viergeschossigen Backsteinbau einer ehemaligen Wurstfabrik. Hier im Hinterhof hat sich das Duo Meyers & Fügmann eingerichtet. Zwei Designerinnen, die Naturfarben zu neuem Leben erwecken, mit Licht, Pigmenten und Textilien experimentieren und dabei präzise Ergebnisse erzielen. 
Aber der Reihe nach. Kennengelernt haben sich die in Luxemburg geborene Sarah Meyers und Laura Fügmann in der Kunsthochschule Berlin Weissensee, genauer im Tram dorthin. Schon während des Studiums begannen sie mit Naturfarben zu experimentieren. Hella Jongerius, damals Lehrbeauftragte in Weissensee, erkannte die Talente, lud sie ein, bei ihr zu arbeiten und nach Master und Bachelor-Abschluss blieb die Verbindung zu der niederländischen Designerin bestehen. Mit dem weltbekannten Atelier sitzen sie heute Tür an Tür.

 

An den Wänden des Studios in Berlin sind die Kreationen der beiden zu sehen. In der Mitte steht ein Tisch, an dem die beiden Frauen gemeinsam arbeiten.

Das helle und grosszügige Atelier befindet sich in Berlin Mitte. Ein Ort, wo sie ihrer Leidenschaft nachgehen können.

2015 gründeten Meyers & Fügmann das eigene Atelier in Berlin und starteten ihr Spezialgebiet: die textile Kultur im Pflanzenfärben weiterzuentwickeln. «Damals wurden wir mit dem Thema der Lichtechtheit konfrontiert,» erzählt Laura Fügmann, «keiner wusste genau, was die Lichtechtheitsskala von 1 bis 8 in der Realität besagt. Steht die Sechs für einen heissen Sommer in Berlin? Niemand konnte beurteilen, was genau diese Zahlen im Ereignis bedeuten.» Ab diesem Punkt beginnt ein Stück spannende, neue Designgeschichte. Kennt man Pflanzenfarben allenfalls von Ostereiern oder der Batikbewegung, haben sich Meyers & Fügmann vorgenommen, die Naturfarben aus dieser Nische zu befreien. «Wir wollen die Naturfärbetechnik relevanter machen und industriell gefertigte Alltagsprodukte herstellen,» unterstreicht Laura. Was heute geschmeidig in den Zeitgeist passt, war 2015 und in den Folgejahren Pionierinnenarbeit. Die beiden begannen Forschungen zum Thema, untersuchten, wie sich Textilien im Laufe der Zeit durch Licht verändern.

 

Die filigranen Webstühle sehen nicht nur schön aus ...

... Sarah und Laura nutzen sie für Testmuster.

Heute steht dafür ihr Begriff «Slow Patterns». Sie entwickeln Stoffe mit unterschiedlichen Fasern, die sich unter Sonnenbestrahlung ungleichgewichtig verändern. Naturgefärbte Faser reagiert anders auf Sonnenbestrahlung als die synthetische Variante – so entstehen die zuvor genau berechneten Muster. «Der Alterungsprozess ist mit reindesignt,» fasst Sarah Meyers zusammen. Durch die verschiedenartigen Garne, verändern sich die Textilien an ihrem Einsatzort individuell, entwickeln Ornamente und Muster. Es erscheinen Stoffe, die Marken in Szene setzen, Institutionen oder öffentliche Räume. Textilien, die zu Botschaftern werden – zum Beispiel als Vorhänge in einem Umweltinstitut. Dass diese Kompetenz Interesse weckt, zeigten die letzten Jahre. Meyers & Fügmanns Textilien machen die Sonnenenergie sichtbar, bewegen sich zwischen den Spannungsfeldern, die heute unsere Klima-Diskussionen beschäftigen und liefern einen aktuellen, stofflichen Beitrag dazu: zwischen der Versteppung der Erde und der Hoffnung auf die Solarwende – die Textilien aus Berlin machen das Unsichtbare sichtbar. Dabei sind die Textilien mehr als das Spiel zwischen Lichtechtheit, Muster und Naturfarbe – sie sind zugleich die Antwort einer Generation, die mit den Klimaveränderungen leben muss und Lösungswege sucht. 

 

„Wir haben uns gefragt, was können wir als Designstudio tun, damit Nachhaltigeres und Neues entsteht.“ 
„Die Antwort darauf waren nachhaltige Farben und die Überlegung wie man Alterungsprozesse in Textilien mitdesignen kann.  Ähnlich wie bei Leder, da ist Patina erwünscht.“
Man sieht verschiedene Muster in gelb und orange.

Je nach Sonnenbestrahlung entwickeln sich die naturgefärbten Fasern individuell.

Wieder sind verschiedene Muster zu sehen, dieses mal in rosa und blau.

Ähnlich wie bei Leder ist der Veränderungsprozess ein erwünschter Nebeneffekt der Textilien.

Strahlt die Mittagssonne von Berlin nun auf ihre grazilen Webstühle, die sie für Testmuster einsetzen, fällt sie weiter auf die Keramik, die in ihrem Atelier in den Regalen steht. Gelb, Blau, Grün – die Farben beleuchten geradezu den Raum. «Wir benutzen Farbe nicht als Layer, sondern um Materialeigenschaften sichtbar zu machen», erzählt Sarah Meyers. Die charakteristischen Duotone-Vasen entstehen, in dem das Porzellan direkt eingefärbt und vor dem Feuern in aufgelöstes Pigment getaucht wird. Die Gießspuren haben sich auf den zarten Vasen verewigt – jede ist individuell und ein Unikat. Inzwischen melden sich zahlreiche Firmen bei den Designerinnen, die unter anderem bei der Ornamente 2024, einem Kunstfestival im Nordschwarzwald, ausstellen werden. Jetzt aber geht es ans Färben: die grossen Kessel dampfen. Die beiden setzen unterschiedliche Pflanzen wie Kamille, Ginster, Brennessel oder Krapp zum Färben der Wolle ein. In einem ausladenden Topf verschwinden Büschel selbstgesammelter Goldrute, Garne werden eingetaucht - ein leuchtendes Sonnengelb entsteht. Es ist der Grundton für ihre neue Wolldeckenkollektion, die in einer Luxemburger Tuchfabrik mit unterschiedlichen Farbverläufen gewebt wird.

 

Die zwei Frauen stehen mit Schürze bekleidet vor einem Topf und Färben Garn gelb ein.

Zum Färben der Wolle dienen unterschiedliche Pflanzen wie Kamille oder Brennnessel.

«Wir sehen den Webstuhl als Farbmisch-Maschine,» erklärt Sarah, als sie das Verlaufsmuster der neuen Decken vorführt. «Wir brauchen eine Farbe, die zeitgemäss und frisch ist, wie also arbeitet man zeitlos und modern gleichermassen?» Die Antwort darauf geben die zwei Farbexpertinnen gleich selbst: «Farben kann man besonders durch Nachbarschaften beeinflussen. Horizonte und vertikale Farbverläufe wirken nochmals unterschiedlich. Wir sind einfach echte Farb-Nerds,» gestehen sie. Eine Craft-Färberei wollen sie dennoch nicht in Berlin-Mitte entstehen lassen. «Es ist zwar ein handwerklicher Prozess, aber uns interessiert für zukünftige Projekte mehr die industrielle Naturfärberei.» Gerade steht ihre nächste Textilmuster-Produktion für «Slow patterns» an. Vorhänge, bei denen die Sonne mitdesignen darf - von den Farbexpertinnen aus Berlin.

www.meyersfuegmann.com

„Farben kann man besonders durch Nachbarschaften beeinflussen. Horizonte und vertikale Farbverläufe wirken nochmals unterschiedlich. Wir sind einfach echte Farb-Nerds.“
Im Atelier sind Muster der neuen Teppichkollektion in gelb-rosa Tönen ausgestellt.

Das leuchtende Sonnengelb stammt von der Goldruten-Pflanze und stellt den Grundton für ihre neue Wolldeckenkollektion dar.