Gestaltet, um repariert zu werden

Junges Design: Interview mit NEUNOI – Thibaut Wenger und Narada Zürrer

Vogelsicht auf mehrere, farbige Kinderschuhe.

NEUNOI ist ein Chubby-Sneaker, der gleichzeitig dynamisch bleibt.

Kinderfüsse wachsen schnell und mit ihnen der Berg weggeworfener Schuhe. Für dieses Problem haben die diplomierten Industrial Design Studenten Thibaut Wenger und Narada Zürrer eine innovative Lösung entwickelt. «NEUNOI», der Sneaker für Kinder im Alter zwischen sechs und zehn Jahren, soll im flexiblen Abonnement erhältlich sein. Sobald ein NEUNOI zu klein wird, schicken die Besitzer*innen den gebrauchten Schuh zurück in die Produktion, wo er gewaschen, repariert und wieder in einen ergonomisch neutralen Zustand gebracht wird. Der aufbereitete Sneaker wird danach zurück in den Onlineshop gestellt. Das Nachfolgemodell ind er nächsten Schuhgrösse wird einfach auf der Website ausgewählt.

Wie kam euch die Idee für «NEUNOI»?
Thibaut Wenger & Narada Zürrer: Unsere Ausgangslage war das biologisch abbaubare Material Kuori. Kuori ist ein Zürcher Start-Up, dass seit eineinhalb Jahren durch Aufarbeitung von Lebensmittel-Nebenprodukten wie Bananenschalen und Nussschalen die Verschmutzung durch Mikroplastik bekämpft. So haben wir uns überlegt, wo es Sinn machen würde, dieses Material einzusetzen und sind auf die Idee gestossen, Kinderschuhe zu entwerfen. Schuhe generell sind ein Verursacher von Mikroplastik. Und wer braucht tatsächlich regelmässig neue Schuhe?  Kinder. Durch ihr schnelles Wachstum muss der Schuh ständig gewechselt werden. Deshalb haben wir uns vorgenommen, einen Schuh zu gestalten, den man, sobald er zu klein ist, wieder reparieren und einem anderen Kind weitergeben kann.

Was steckt hinter dem Namen «NEUNOI»?
Der Name ist eher während und gegen Ende der Projekts entstanden. Er sollte einerseits eine spielerische Strahlkraft haben, damit Kinder diesen cool finden. Anderseits sollte er auch erklären, um was es geht. Das erste «Neu» weist auf das klassische «neu» hin – ein neues Produkt, welches man frisch auspackt und wie «neu» riecht. Das zweite «Noi» weist auf das neu hin, was wir selber dahinter verstehen – ein Objekt, was die Funktion von etwas Neuem hat, aber nicht komplett neu produziert wurde. In einer Zukunft, wie wir sie uns vorstellen, gibt es immer mehr Produkte, die diese Eigenschaft tragen. Alle wollen immer das Neuste und etwas Gebrauchtes trägt nicht mehr den gleichen Wert. Für uns muss es genau umgekehrt sein.

In eurem Info-Video spricht ihr über ein Kinderschuh-Abo. Wie funktioniert dieses Prinzip?
Durch den ständigen Wechsel, beziehungsweise den angestrebten Kreislaufs des Schuhs sind wir auf die Idee eines Abos gestossen. Bei uns geht es darum, den Schuh länger zu nutzen. Und wenn es nicht in einem Abo immer zu uns zurückkommen würde, wäre unklar, was genau mit dem Schuh nach seinem Gebrauch passieren würde. Das Abo garantiert den Kindern, jederzeit einen zu haben, der perfekt passt: Sobald der Schuh zu drücken beginnt, weil er zu klein wird, gehen Kind und Eltern auf die Webseite und suchen sich von den unzähligen Farbkombinationen in der nächsten Grösse den gewünschten «NEUNOI» aus. Der alte Schuh wird zurück in die Werkstatt geschickt, wo er aufgewertet wird. Neben dem Austausch der Innen– und Aussensohle werden auch entstandene Löcher oder Risse mit den farbigen Patches abgedeckt. So kann der Schuh wieder neutral an das nächste Kind weitergegeben werden. Gedacht ist auch, dass jedes Kind eine kurze Notiz bei der Rückgabe zum Schuh hinzufügt, damit das nächste Kind liest, was der Schuh woanders bereits alles erlebt hat. Die Eltern unterstützen mit diesem Abo nicht nur die Umwelt, sondern auch den umfassenden Gedanken des Teilens.

Aus welchen Materialien besteht der Schuh?
Der graue Stoff am Schuh ist recycelte Bio-Baumwolle der Zürcher Firma Ventile. Der Stoff ist einerseits sehr robust, anderseits wasserabweisend und luftdurchlässig. Was bei Kinderschuhen extrem wichtig ist. Die farbigen Patches, die hinzugefügt werden, sind aus Rest-Leder, welches wir gratis aus der Industrie beziehen. Da wir nicht an ein starres Design gebunden sind, können wir jegliche Farben auswählen, die uns gerade passen. Wie bereits erwähnt, stammt unsere Sohle von Kuori, die je nach Zusammensetzung der Bananen-und Nussschalen unterschiedliche Eigenschaften aufweist. Wenn eine Sohle mehr Bananenschale besitzt, wird sie elastischer. Besitzt sie jedoch mehr Nussschale wird die Sohle härter. Was an Stellen mit viel Abnützung, wie an der Ferse hilfreich ist.  

 

 

links: Ein Kind, welches auf einer Bank sitzt. Rechts: Ein Mädchen, das auf dem Rasen sitzt und ihre Schuhe bindet.

Der elastische Klettverschluss lässt sich ultraschnell bedienen und ist mit dem darunter befindlichen Täschchen für Kinder-Geheimnisse eines von vielen kinderfreundlichen Details. 

Mit welchen Herausforderungen wart ihr während eurem Projekt konfrontiert?
Das Projekt ist innerhalb von vier Monaten entstanden. Um unser Anliegen zu kommunizieren war es uns wichtig, nicht nur einen losgelösten Prototypen zu präsentieren, sondern ein ganzes rundherum Businessmodell zu kreieren. Dieses ist anders als bisherige Modelle für Kinderschuhe. Alles zu berücksichtigen und unter einen Hut zu bringen, war sehr schwierig aber genau darin liegt die Spannung. Zum Beispiel war es herausfordernd im Prozess mit den verschiedensten Annahmen zu arbeiten: Wir wissen noch nicht, wie stark genau die Sohle abreibt, wenn ein Kind den Schuh ein ganzes Jahr trägt. Beim Material für die dämpfende Zwischensohle beispielsweise mussten wir für den Prototyp, aufgrund der knappen Zeit einen Abstrich machen, obwohl wir gerne eine noch nachhaltigere Version präsentiert hätten.

Was waren die ersten Reaktionen der Kinder und deren Eltern?
Es war sehr schön zu sehen, wie die Kinder den Schuh sofort als den ihren angenommen hatten. Nicht nur der elastische Klett, der einfach in der Handhabung und komfortabel ist und dazu eine spielerische Note beiträgt, hat ihnen Freude zubereitet, auch die verschiedenen Farben waren ein Pluspunkt. Bei den Eltern, die ein Abo erstellen würden, sind die vielen nachhaltigen Aspekte das schlagende Argument.

Sind für Kinder am Schuh andere Faktoren wichtig, als zuvor gedacht?
Das spielerische und farbige ist ihnen sehr wichtig, aber auch, dass der Schuh etwas Persönliches hat. Deswegen haben wir gut sichtbar auf der Innensohle an der Ferse Buchstaben hinzugefügt, die auf die jeweiligen Anfangsbuchstaben der Namen hinweisen. Das ist ein grosser Mehrwert fürs Kind, für uns jedoch kein grosser Aufwand, weil die Innensohle so oder so ausgewechselt wird. Bei Kindern muss auch das An- und Abziehen einfach sein. Der Klett lässt sich schnell öffnen und schliessen. Man darf auch nicht vergessen, dass Kinderfüsse in der Ergonomie anders sind als erwachsene Füsse. Das Fussbett zum Beispiel, sollte möglichst flach sein, damit sich die Muskeln gut entwickeln können. So können vor allem zu kleine Schuhe das Muskelwachstum beeinflussen und Schäden hervorrufen, die ein Leben lang bleiben können. Der Kinderfuss schwitzt auch stärker als der eines Erwachsenen, weshalb wir ein eigenes Lüftungskanal-System erfunden haben um die Luft innen besser zirkulieren zu lassen.

Wie soll die Zukunft von «NEUNOI» aussehen?
Die Zukunft von«NEUNOI» ist noch offen. Es spielt nicht nur unsere verfügbare Zeit eine Rolle, natürlich auch auf die vorhandenen, finanziellen Mittel sind entscheidend. Natürlich sind wir um jegliche Unterstützung froh. Wir probieren auf jeden Fall unser Projekt, sei das an Messen oder Ausstellungen, bekannter zu machen. Wir haben bereits viel gutes Feedback erhalten. Eltern, die Kinder in diesem Alter haben, sind sehr dankbar für eine Lösung, welche nachhaltig ist. Es wäre schön«NEUNOI» in die Realität umzusetzen – so dass die Idee nicht bereits in den Kinderschuhen stecken bleibt. 

Werbung für einen Kinderschuh, welcher scharf im Mittelpunkt schwebt und von farbigem Stofffetzen umgeben wird.

Die farbigen Patches verdecken «kaputte Stellen» am Schuh und machen somit jedes Paar zu etwas einzigartigem.

Mit eurem Projekt wirkt ihr gegen Fast Fashion. Was denkt ihr über die konstant wechselnden Trends?
Das momentane Konsumverhalten empfinde ich wirklich als ein Riesenproblem. Deshalb haben wir versucht, ein Konzept zu entwickeln, bei dem sich der Schuh stetig weiterentwickelt. Sieht man, dass neue Formen oder Farben trendy werden, können wir das bereits in den zurückgeschickten Modellen integrieren. Der Schuh ist daher nicht nur dank der effizienten Reparatur langlebig, sondern auch weil er ein Umdenken fördert und sein Aussehen sich jederzeit weiterentwickeln kann.

Wie entstand eure Zusammenarbeit?

Die Marke Kuori bildete für mich die Ausgangslage und ich überlegte mir, in welche verschiedenen Richtungen ich alles entwickeln könnte. Dann hatte Nari gemeint, wenn ich einen Kinderfussballschuh aus Kuori kreieren wolle, wäre er sofort dabei. Natürlich sind wir vom Fussballschuh abgekommen, weil ein Alltagsschuh mehr gebraucht wird. Und so hat alles seinen Lauf genommen.

Wie ergänzt ihr euch?
TW: Obwohl wir uns nur erst seit kurzem kannten, haben wir uns von Anfang an gut gefunden und ergänzt. Oft schlugen wir unterschiedliche Richtungen ein und haben anschliessend aus den jeweiligen Ideen das Beste herausgepickt. Schnell merkten wir, dass die Arbeit zu zweit das Resultat im positiven Sinne stärkt. Wenn wir eine Blockade hatten, lüfteten wir uns bei einer Ping-Pong-Partie den Kopf. Am Schluss der Bachelorarbeit stand das Endresultat bei 15:16. Nari hat mit einem Match gewonnen.

NZ: Ich war von Anfang an sehr offen, ein Projekt zu zweit anzugehen, sofern eine coole Idee, welche beide fasziniert, gefunden werden kann. Es sit simpel: Zu zweit kann man viel mehr in die Tiefe und in die Breite gehen. Vor allem gegen Schluss gibt man sich gegenseitig noch den letzten «push». Es wird auch mehr diskutiert. Jede Idee, die entstand, wurde stets sehr funktional und kritisch besprochen. Das wäre sicher nicht mit allen Personen möglich gewesen, deshalb bin ich sehr froh, dass es bei uns so gut funktioniert hat.

Das Aussehen dieser langlebigen Sneaker ist vielfältig und bleibt doch immer aktuell. Wegen des Reparatur-Zyklus verändert sich das Angebot ständig. 

Wenn ein Kind ein Schuh in die Produktion zurückschickt, sollte es eine Notiz mitschicken, damit das nächste Kind lesen kann, was der Schuh bereits alles erlebt hat.

Designt für Kinder … aber auch mit Kindern zusammen: Zeichne deinen «Lieblingsschuh». (Bilder aus eigenen Workshops)

Das NEUNOI Konzept ist auf eine systematische, schnelle und somit günstige Reparatur ausgelegt.

Was ist euer Anspruch an zeitgemässes, modernes Design?
Früher setzte man den Fokus vor allem auf die Menschen. Obwohl der Mensch selber natürlich sehr wichtig ist, muss man heutzutage, wenn man an zeitgenössisches Design denkt, weitere Faktoren einbeziehen. Zum Beispiel die Ökologie: Wie wird das Produkt hergestellt? Wie kann etwas repariert werden? Was werden für Materialien eingesetzt? Welche Faktoren können optimiert werden? Der ganze Kreislauf muss stimmen. Deswegen kehrt bei uns der Schuh in die Produktion zurück. Wenn der Schuh nicht mehr repariert werden kann, haben wir die volle Kontrolle bezüglich der Entsorgung.

Was waren eure Lieblingsschuhe als Kind?
TW: Wenn es um Alltagsschuhe ging, war ich sehr unkompliziert. Im Fussball war es mir jedoch sehr wichtig, welche Schuhe ich benutzte. Die Farbkombinationen machten für mich viel aus.

NZ: Als Jugendlicher war der Nike Blazer in Schwarz mit weissem Logo eine Zeit lang mein absoluter Lieblingsschuh. Ich hatte ihn so lieb, dass ich ihn nicht wegschmeissen wollte. Ich weiss noch genau, als ich ihn trotzdem entsorgen musste. Unsere damalige Wohnung hatte einen Gemeinschaftsmülleimer, der über einen Schacht vier Stockwerke in die Tiefe ging. Den Schuh damals in die Klappe zu legen, hat mir ein bisschen das Herz zerrissen.

 

www.neunoi.ch

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