Es ist ein frischer Morgen, der Nebel liegt noch etwas verhangen über Kopenhagen und doch flitzen schon unzählige Fahrradfahrer*innen an mir vorbei, als ich mich auf den Weg zu Maria Bruuns Studio mache. Die Schaufenster sind geputzt, die orangen Banner und Ballons aufgehängt, und die Neuheiten kunstvoll in Szene gesetzt. Alles scheint bereit für die drei wichtigsten Designtage in der dänischen Hauptstadt. Ich treffe Maria nämlich an einem Tag der diesjährigen 3 Days of Design, Dänemarks grösstem Designevent, der Kopenhagen Jahr für Jahr in ein kreatives Rundumspektakel verwandelt.
Mein Spaziergang führt mich etwas weiter weg von der Stadtmitte, genauer gesagt in den Bezirk Østerbro, wo sich in einer Seitenstrasse, eingebettet zwischen Wohnhäusern, kleinen Shops und Cafés, Marias lichterfülltes Atelier befindet. Das unbestritten gehaltvolle Erbe der dänischen Designtradition in eine neue Ära zu führen, hat sich die aufgeweckte Dänin seit jeher zum Ziel gesetzt. Mit viel Feingespür und in engem Dialog mit Handwerker*innen überrascht sie dabei mit gleichermassen zeitlosen wie zeitgemässen Entwürfen, die allesamt von einer hohen Achtung vor den Materialien zeugen.
Wir treffen uns während der 3 Days of Design, die dieses Jahr unter dem Motto «Remember to Play» stehen. In vielen deiner Entwürfe ist eine subtile Verspieltheit spürbar. Welche Bedeutung hat Spiel für dich als Designerin?
Maria Bruun: Ich werde oft als Minimalistin oder Puristin angesehen, daher bin ich sehr froh, dass du die Verspieltheit erkennst. Denn obschon es sich bei meinen Entwürfen um traditionelle Materialien und Techniken handelt, versuche ich stets, einen spielerischen Ansatz einfliessen zu lassen. Bei der «Nordic Pioneer»-Serie beispielsweise habe ich ein kleines Detail im Fuss des Stuhls entworfen, das wie ein Kieselstein oder ein Donut aussieht und dem Möbel dadurch Charakter verleiht. Für den Hocker habe ich dieses Detail gar zu einer Sitzfläche vergrössert. Für mich bedeutet Verspieltheit auch, mit Grössenordnungen zu variieren, Materialien zu kombinieren und mit ihnen zu überraschen.
Wolltest du schon immer Designerin werden?
MB: Ich bin auf dem Land aufgewachsen und stamme aus einer Familie, die nicht aus dem Design- oder Architekturbereich kommt. Dass man von Beruf Designerin werden kann, war mir daher nicht unbedingt bewusst. Ich habe jedoch schon immer gerne mit meinen Händen gearbeitet, skizziert, gezeichnet und daraus etwas erschaffen. Als ich dann den Studiengang Möbeldesign entdeckte, schrieb ich mich sofort ein. Mein Hintergrund stellte sich bald als Vorteil heraus, ging ich doch – ganz im Vergleich zu meinen Studienkolleg*innen, deren Eltern selbst Kunsthandwerker*innen, Architekt*innen oder Designer*innen waren komplett unvoreingenommen und frei ans Gestalten und Ausprobieren.
Seither entwirfst du oftmals an der Schnittstelle zwischen Kunst und Architektur, Handwerk und Design.
MB: Ich habe mich gleich nach dem Studium selbstständig gemacht und eigene Projekte entwickelt. Daneben konnte ich freiberuflich für grössere Unternehmen wie Muuto und Kvadrat arbeiten, was mir die Möglichkeit gab, neben Möbeln und Produkten auch Innenräume, Messestände oder Ausstellungsräume zu entwerfen. Ich zähle mich zu der Generation von Gestalter*innen, die ihre Arbeit nicht zwingend einer bestimmten Nische zuordnet. Vielmehr geht es mir darum, ganzheitliche Erfahrungen zu schaffen oder Objekte zu entwerfen, die mehr als nur Funktionalität oder Material bieten.
Dabei arbeitest du viel mit Holz. Was fasziniert dich an diesem Material besonders?
MB: Massivholz ist Teil der skandinavischen Design-DNA, aber was ich an Holz besonders schätze, ist – nebst dem Fakt, dass es ein sehr nachhaltiges und langlebiges Material ist – seine Vielseitigkeit. Holz ist ein hartes Material, mit dessen Weichheit man enorm experimentieren kann.
Zum Beispiel bei deinen «Nordic Pioneer»-Hockern. Die Sitzflächen sehen so weich aus – wie Kissen.
MB: Ganz genau! In den letzten Jahren habe ich viel daran gearbeitet, Holz in Details auszuarbeiten, ungewohnt wirken zu lassen, mit Dimensionen und Formen zu überraschen. Die Tischbeine meiner «Islets Tables» zum Beispiel – eine enorme Wucht an Material – stehen im Kontrast zu der zurückgenommenen Tischfläche und betonen die Standhaftigkeit. Genau das ist es, was Holz meiner Meinung nach tut, es hält uns geerdet, verbunden.
Vor kurzem hast du den Wegner Preis gewonnen, im Jahr davor, 2021, den Finn-Juhl-Preis. Was bedeuten dir die dänische Design-Tradition und diese Auszeichnungen?
MB: Ich fühle mich in meiner Arbeit und meinem Engagement, etwas für die Zukunft schaffen zu wollen, wahrgenommen. Ich vergleiche meine Entwürfe nicht mit jenen von Wegner oder Juhl, sondern sehe die Würdigung als etwas, was mir gegeben wurde, damit ich nach vorne schauen, meinen eigenen Stil weiterverfolgen und ausüben kann.
Wo findest du Inspiration dafür?
MB: Ich besuche Handwerker*innen, Glasbläser*innen, Keramiker*innen, jemand, der andere Fähigkeiten hat als ich, und lasse mich vom Material, der Technik, der Maschinerie und der Person selbst inspirieren. Eine Tradition des dänischen Designs, die mir sehr am Herzen liegt, ist die Beziehung zwischen Designer*in und Handwerker*in. Im Dialog entstehen so einzigartige Entwürfe.
Woran arbeitest du zurzeit?
MB: An Glasstücken und Karaffen. Und ich arbeite noch immer viel mit den stapelbaren Holzkisten «Dependables». Das Interesse seitens der Galerien als auch privater Sammler ist gross, denn jeder und jede braucht eine Kiste (lacht). Es ist eine Art Ritual, seine liebsten Habseligkeiten in einer schönen Kiste aufzubewahren. Ein funktionales Stück, das in gewisser Weise zu einem Möbelkunstwerk wird.