Wieso ein Stück Emmentaler Schweizer Design in Moskau repräsentiert

All-Russian Decorative Art Museum

Caran d'Ache Kugelschreiber in grau-silber.

«Caress Plates»: Designer Adrien Rovero nahm den klassischen Aluminium-Kugelschreiber von Caran d'Ache als Inspiration.

Caress Plates von Adrien Rovero.

Er hat einfache Behälter entwickelt, die es ihm erlauben, die Oberfläche vor dem Eloxieren (Einfärben durch Elektrolyse) auf eine ganz besondere Art und Weise zu behandeln. 

Typografische Landkarten, Emmentaler-Käse oder der klassische Appenzeller-Gurt – alles Elemente der Schweizer Kultur. Doch wie prägen sie uns und wie fliessen sie in unser aktuelles Verständnis von modernem Design mit ein? Diese Frage stellte sich Gabriela Chicherio, Designerin und Mitinitiantin der Design Biennale Zürich, als sie 2019 für einen einmonatigen Aufenthalt in Moskau weilte. «Mir wurde bewusst, wie sehr unser eigenes Produkterbe uns prägt – Formen, Farben, Muster, Materialien und Kombinationen begleiten uns seit der Kindheit.» Im russischen Design sieht man immer wieder Referenzen zu konstruktivistischen, aber auch folkloristischen Elementen. Auch in der Schweiz greifen Designer auf Elemente der eigenen Designgeschichte oder dem eigenen Umfeld zurück. «Genau diese Begebenheit wollte ich thematisieren, als ich im Sommer 2020 vom All-Russian Decorative Art Museum in Moskau angefragt wurde, eine kleine Gastausstellung über zeitgenössisches Schweizer Design parallel zur Ausstellung des Russischen Designpreises zu organisieren», so Chicherio. 
 
 
 

«Fâvro»: Die Designerin Bertille Laguet nahm sich den traditionellen Appenzeller-Gurt als Vorlage. 

Entstanden ist ein Stück Leder, auf das drei geschmiedete Formen genietet sind: die Hand, das Feuer, der Hammer. 

«DB20» von Dimitri Bähler ist eine Serie aus drei Tassen sowie zwei Schalen und ist das Ergebnis einer Untersuchung von Schattenspielen durch eine Textur, die manchmal einem Relief, manchmal einer farbigen Oberfläche ähnelt. 

«DB20» ist die erste Geschirrkollektion des neuen Porzellanlabels POOL, das von Laurin Schaub in Bern, gegründet wurde.

«Der goldene Käse, Le fromage en or, Il formaggio d’oro, Il chaschöl d’or, or The golden cheese»:  Als Vorlage diente der Emmentaler Käse, entstanden ist ein perfektes Stück Käse, nicht aus Gold, ...

... sondern aus Messing – das zugleich eine augenzwinkernde Kritik am Mythos der Schweiz als Utopie übt. Das Projekt kommt von Isabell & Kyle Solá vom Solá Solá Studios.

«Hans-Jakobli»: Die Designerin Valentina Labitzke wollte das kleinbürgerliche Ambiente mit dem unmodische Spitzenquilt aufbrechen und übersetzte diese für die heutige Zeit mit Gummigranulat ... 

... dieses schützt, dient als rutschfeste Unterlage und ist dekorativ und setzt einen raffinierten Kontrast zum Original. 

«Bélier»: Fritz Jakob Gräber liess sich vom klassischen Werkzeugkasten inspirieren. 

Während die formale Schönheit von «Bélier» auf einfachen Linien und der Art und Weise beruht, wie sie sich verbinden, ist das Gerüst höchst technisch in der Art und Weise, wie es sich horizontal in sich selbst verschachtelt und stapelt.

Für die Ausstellung «Inspired by Switzerland» wurden 12 Schweizer Designerinnen und Designer angefragt, Projekte zu entwickeln, die explizit von lokalen Referenzobjekten inspiriert sind. Aber was ist denn typisch schweizerisch? Und ist die heutige, multikulturelle und globalisierte Eidgenossenschaft selbst überhaupt noch schweizerisch? Ein Stück Holz aus dem Wald, ein gefaltetes Stück Papier aus dem Atelier oder der rote Sekundenzeiger der Schweizer Bahnhofsuhr dienten unter anderem als Ausgangspunkt.
 
 
 
Asphalt Clock von Gabriela Chicherio.

«Asphalt Clock» von Gabriela Chicherio. «Ich habe zerbrochene Bodenbeläge von Zürcher Baustellen (Usteristrasse und Rigistrasse) aufgeheizt und umgestaltet. Das Ergebnis ist eine einfache, tiefschwarze Tischuhr mit einer unregelmässigen und einzigartigen Struktur ...

Zerbröckelter Asphalt von Zürcher Baustellen.

... Das kontrovers diskutierte und allgegenwärtige Material wird aufgewertet – Upcycling statt nur Recycling. Von der Strasse ins Wohnzimmer.»

12 Projekte und die dazugehörigen Inspirationsquellen zeigen, wie unterschiedlich breit und vielseitig kreative Entwurfsprozesse umgesetzt werden können. Die Besuchenden sind eingeladen, sich vom kreativen Potenzial der eigenen Designkultur inspirieren zu lassen. «Inspired by Switzerland» ist als zweiteilige, gespiegelte Ausstellung für Moskau und die Schweiz konzipiert. In Moskau werden die Inspirationsobjekte ausgestellt und die Projekte als Fotografien gezeigt. In der Schweiz hingegen sind die Originalprojekte physisch vor Ort, ergänzt durch die Referenzobjekte als Abbildung.
 
 
 
 
 

«Not Far From The Tree»: Fabio Rutishauser kreierte einen Hocker. Das Objekt ist aus Schweizer Holz gefertigt, das in der Nähe des Hauses wächst, in dem er selbst aufgewachsen ist. 

Der Baum nimmt die Rolle des stillen Beobachters ein, der mit Rutishauser aufgewachsen ist und sich mit ihm und der Zeit verändert.

«Girolle & Co» ist eine Neukonstruktion des traditionellen kreisförmigen Käsehobels «Girolle», das 1982 von Nicolas Crevoisier erfunden wurde. Designerin Laure Gremion nahm sich der Optimierung eines bestehenden Produktes an:

Die neue Version bietet dank eines umkehrbaren Brettes und eines Staufachs eine grössere Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten. 

«lake | reflection» von Nora Wagner: Topographische Karten, die noch immer in jedem Haushalt zu finden sind dienten ihr als Inspiration.

«lake | reflection» ist eine Auseinandersetzung mit uns selbst und unserem Verhältnis zu Natur, Mensch und Technik. Sie wirft die Frage auf, wie wir die Dinge betrachten und wie wir uns zu ihnen verhalten. 

«Topography imaginary»: Der zweite Zeiger der Bahnhofsuhr, präzise Schweizer Karten und alte Holztafeln sind Robert Wettsteins Inspirationsquellen für das vorgestellte Holzbesteck.

Um die Holzmaserung als Muster hervorzuheben, wird die fertige Kelle sorgfältig mit Sonne (Feuer) gegerbt und mit Wind und Wetter (Bürste) behandelt, wobei nur die harte geschwärzte Holzmaserung übrig bleibt. Die Färbung wird mit natürlicher Wasserfarbe erzielt. 

«Flat Pocket Bag No1»: Die Tasche ist inspiriert von der flachen Papiertüte, die wir in allen Supermärkten in der Schweiz haben.

Entstanden ist ein flacher Beutel, der sowohl seitlich als auch horizontal oder vertikal verwendbar ist. Das Projekt kommt von Sibylle Stöckli.

Ausstellungen:
 
INSPIRED BY SWITZERLAND @ ALL RUSSIAN DECORATIVE ART MUSEUM MOSKAU
ab 26. Oktober 2020, Delegatskaya Ulitsa, 3, Moscow, Russia, 127473
www.vmdpni.ru
 
Die Ausstellung wir durch Pro Helvetia Moskau unterstützt.
 
INSPIRED BY SWITZERLAND @ DESIGN DAYS
5.–15. November 2020, Viceversa Gallery, 3 rue Mercerie, 1003 Lausanne
 
INSPIRED BY SWITZERLAND @ OKRO
ab 20. November bis Ende 2020, OKRO, Design & Craft, Tittwiesenstrasse 21, 7000 Chur
 
Mit Projekten von: Dimitri Bähler, Gabriela Chicherio, Fritz Jakob Gräber, Laure Gremion, Valentina Labitzke, Bertille Laguet, Adrien Rovero, Fabio Rutishauser, Solá Solá Studios (Isabell Solá-Gatzen & Kyle Solá), Sibylle Stöckli, Nora Wagner, Robert Adrian Wettstein.
Mehr Infos unter: parenthesis.ch