
Sticht beim Vorbeifahren ins Auge – die Voegtlin-Meyer Tankstelle ausserhalb von Brugg.
Als Kind fand ich das Anhalten der Tankstelle eher unangenehm. Meist waren wir unterwegs in die Sommerferien in Italien, es roch nach Benzin und Abgas, das WC war von zweifelhafter Sauberkeit und auf welcher Seite war denn der Tankdeckel des Mietautos schon wieder? Ah ja, auf der anderen, also nochmals eine Runde um die Tanksäule fahren. Der Gestaltung dieser Orte habe ich bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt – lieber wollte ich so schnell wie möglich wieder weg, damit die Klimaanlage weiter kühlt. Vielleicht gerade deshalb ist mir die Architektur der Tankstelle im industriellen Gebiet Wildischachen ausserhalb von Brugg im Kanton Aargau sofort ins Auge gestochen. Mit ihrem filigranen Betondach, auf nur drei schlanke Säulen abgestützt, ist sie ein wahrer Hingucker. Eröffnet wurde sie zum 110-jährigen Firmenjubiläum der Voegtlin-Meyer AG, die sich auf Energie, Tanktechnik, Entsorgung und Personentransport spezialisiert hat. Das zentrale Anliegen der Bauherrschaft war es, einen hohen Wiedererkennungswert zu schaffen.

Ein wichtiger Faktor bei der Planung der Tankstelle war die Gewährleistung einer einfachen Zu- und Wegfahrt.

Die für Tankstelle geltenden hohen Sicherheitsstandards mit einer hochwertigen Gestaltung zu vereinbaren war eine der zentralen Herausforderungen des Baus.
Eine eigene Typologie
Tankstellenarchitektur hat durchaus seine eigene Geschichte, denn die einheitlichen und charakterlosen Tankstellendächer, die meist die Farbe der Betriebsfirma tragen und heute die Norm sind, sind erst mit der starken Verbreitung der Automobilität aufgekommen. «Wir haben uns stark mit der Geschichte von Tankstellen auseinandergesetzt und festgestellt, dass sie früher eine eigenständige Gebäudetypologie waren», sagt Architekt Kai Saager von Tschudin Urech Bolt Architektur, die für den Neubau verantwortlich sind. «Zwei Referenzen waren für uns im Gestaltungsprozess massgebend. Einerseits die Tankstelle im dänischen Skovshoved von Arne Jacobsen von 1936 und andererseits das Tankstellendach von Thomas Little aus dem Jahr 1961 in Macon, Georgia. Beide Tankstellen sind durch eine klare Materialisierung und Formgebung geprägt und in Sichtbeton ausgeführt. Wir wollten mit unserem Entwurf an diese qualitätsvollen Bauten anknüpfen und das Tankstellendach mit seiner geschwungenen Form und den charakteristischen Pilzstützen inszenieren.»

Eines der historischen Vorbilder des Entwurfs von Tschudin Urech Bolt Architektur: die Tankstelle Skovshoved von Arne Jacobsen im nördlichen Teil von Kopenhagen.
Nachdem der Entwurf für das Dach stand, stellte sich die Frage nach der Umsetzbarkeit, denn seine filigrane Form stand im Widerspruch zur weiten Auskragung. Zudem steht das Gebäude auf nur drei linear angeordneten Stützen, was eine konventionelle Lastabtragung verunmöglichte. «Gemeinsam mit dem Ingenieurbüro Mund Ganz + Partner AG haben wir ein Tragkonzept entwickelt, welches aus eingespannten Stützen und einer Vorspannung besteht. Dank der intensiven Zusammenarbeit war es möglich, den Entwurf zu realisieren, ohne bei der Gestaltung Kompromisse eingehen zu müssen», so Saager.
Entstanden ist ein feingliedriger, monolithischer Betonbau, der besonders in der Nacht seine volle Wirkung entfaltet, wenn die Architektur durch die eingelegten Lichtbänder akzentuiert wird. Dank der leicht erhöhten Position der Tankstelle gegenüber dem Strassenraum ist sie bei der Vorbeifahrt gut ersichtlich, und scheint nicht nur Architekturbegeisterte anzusprechen. «Immer wieder entdecken wir Bilder von Autoenthusiast:innen, die ihre Fahrzeuge unter dem Dach inszenieren», berichtet Saager. Also anhalten lohnt sich!

Besonders in der Nacht entfaltet der Bau seine volle Wirkung.