Wasser – ein kostbares Gut

Trinkhalle Büvetta Scuol-Tarasp

… oder wie im Engadin das Heilwasser ein Revival erlebt.

Die Trinkhalle Büvetta in Scuol-Tarasp liegt direkt am Inn und wurde 1876 nach Plänen des Architekten Bernhard Simon erbaut.

«Solche Wässer gibt es wie die Erden, welche sie durchfliessen» wusste schon der griechische Philosoph Aristoteles (384-322 v. Chr.) Das Element Wasser hat uns Menschen seit jeher fasziniert. Vor allem haben jedoch das Wasser und seine Quellen unglaublich viele Bedeutungen für Mensch und Natur. Dies wird uns immer wieder dann bewusst, wenn wir zu wenig davon haben. Wenn Natur, Landwirtschaft und auch wir Menschen unter wochenlanger Trockenheit leiden, wie im Sommer 2018. Auch die Qualität und Zusammensetzung des Wassers ist von Bedeutung. Das Wasser stärkt unser Immunsystem und die körpereigenen Funktionen. Innere und äussere Anwendungen tragen zur menschlichen Gesundheit bei. Wo dies schon seit Jahrhunderten ein Thema ist, ist im Engadin.

Mineralquellen im Unterengadin

Bekannt geworden ist das Unterengadin nicht nur wegen seiner schönen Landschaften, sondern auch dank seiner Mineralquellen und deren Heilkraft. Das Engadin, welches seinen Namen dem En verdankt, dem rätoromanischen Namen des Flusses Inn, ist eines der höchstgelegenen bewohnten Täler Europas und bildet die obere Talstufe des Inns. Auf einer Strecke von nur sechs Kilometern entspringen in der Region Scuol-Tarasp auf beiden Seiten des Inns über 20 Mineralquellen. Quellen mit Namen wie Carola und Lischana haben eine Verweildauer im Untergrund von etwa fünf Jahren. Bis zu 25 Jahre benötigen die Quellwässer Lucius, Emerita, Sfondraz und Bonifacius.

Die Rotunde der Büvetta, in Serpentin und Marmor erbaut, strahlt wahre Erhabenheit aus.

Geschichte der Büvetta Scuol-Tarasp

Bäder und Trinkkuren zählen zu den ältesten bekannten Heilpraktiken. Schon die Römer liebten und inszenierten das Bad. Die Quellen von Scuol-Tarasp finden schon 1533 bei Paracelsus Erwähnung, der Arzt Conrad Gessner kurte Mitte des 16. Jahrhunderts hier, um sich von seiner hartnäckigen Ischias zu befreien. Die touristische Erschliessung beginnt 1841. Der Bau eines Parks und die Fassung der Quellen am Ufer des Inns werden bewilligt. Um 1843 entsteht zunächst eine einfache Trinkhalle, 1864 das Kurhaus Tarasp, ein Hotel mit Glanz und Komfort für 300 Gäste mit gehobenen Ansprüchen. Dampfpumpen führen das Heilwasser direkt in die Badeanlagen des Kurhauses. Beflügelt durch den Erfolg wird 1876 vom Architekten Bernhard Simon die repräsentative Trinkhalle Büvetta Scuol-Tarasp realisiert. Eine langgestreckte Wandelhalle mit bergseitig angeordneten Verkaufsläden und grossen Bogenfenstern zum Inn. Als Krönung erhält sie eine oktogonale Rotunde mit festlichen Säulen auf hohem Marmorsockel für die drei Quellen Bonifazius, Emerita und Luzius. In den 1950er-Jahren weilte der junge Friedrich Dürrenmatt im Waldhaus Tarasp Vulpera und spazierte täglich hinab zur Trinkhalle, um ein Glas Quellwasser zu trinken, und liess sich dort zu grossen «Stoffen» inspirieren. So finden sich die Eindrücke seiner Tarasp-Aufenthalte in seinem letzten Roman «Durcheinandertal» von 1989 verarbeitet.

«Dieses Wasser war etwas ganz anderes als ein Trunk. Es war gut für das Herz, wie ein Geschenk.»   

Der auf die Heilkraft der Quellen beruhende Tourismus bildete lange Zeit eine wichtige Einnahmequelle. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist jedoch nichts mehr wie es war und der gemächliche Kurbetrieb kommt aus der Mode. Selbst grosse Investitionen in eine Modernisierung lassen den Niedergang des Kur- und Badebetriebs nicht mehr aufhalten. Im Jahr 2006 wurde die Trinkhalle geschlossen und seither nicht mehr unterhalten. Im Jahr 2012 wurde ein Verein gegründet zur Erhaltung und Wiederbelebung der Büvetta Scuol-Tarasp. Motiviert davon, dass das weltumspannende Thema Wasser hoch aktuell ist und auch in Zukunft von zentraler Bedeutung sein wird.

Der Weg zur sprudelnden Wiederbelebung

«Durchgang nicht gestattet» – Eine Absperrung hindert heute noch Wanderer und Interessierte am Betreten der Büvetta. Das Interesse wäre gross. Die Trinkhalle leidet jedoch unter Felssturzgefahr und die Geländebewegungen zwischen Fels, Gebäude und Innufer setzen dem Langbau trotz seiner relativen Elastizität merklich zu. So muss man derzeit noch den schönen Blick auf die Trinkhalle von der anderen Uferseite oder von einer Brücke aus geniessen, welche nahe der Büvetta über den Inn führt.

Aktuell wird für das Gebäude ein Sanierungs- und Nutzungskonzept erstellt, das auf die grossartige Qualität des Originals und seiner Raumwirkung setzt. Die Quellen sollen dabei geschützt, neu gefasst und eine angepasste zeitgemässe Nutzung gefunden werden. Die Instandstellung der Büvetta ist von denkmalpflegerischer Bedeutung, denn ihr historischer und architektonischer Wert wird als sehr hoch eingestuft. Seit dem Frühjahr 2018 ist die Büvetta beim Bund und Kanton mit dem höchsten Schutzstatus inventarisiert. Dies bedeutet, dass vom Bund und vom Kanton je 30 Prozent der subventionsberechtigten Sanierungskosten übernommen werden. Die restlichen Kosten sollen von einer Stiftung getragen werden. Fachleute und Ingenieure schätzen die Gesamtinvestitionen für die Sanierung des Felsen, der Büvetta und der Quellfassungen auf einen Betrag von 10 bis 12 Millionen Franken. Ist diese Phase geschafft und die Heilquellen sind einmal neu gefasst, kann dieser besondere Ort wieder ein Anziehungspunkt für Gäste sein. Das einzigartige Gebäude kann sich wieder präsentieren, und das Element Wasser erhält eine grosse Wertschätzung und gewinnt eine Plattform dazu.

Jedem das Seine: Trinkgläser-Ordnung von damals in der Büvetta Scuol-Tarasp.

Wasserzentrum mit Potenzial

Die Trinkhalle könnte in Zukunft für einen Ort mit internationaler Ausstrahlung stehen, wo Wissen rund um das Thema Wasser zusammenfliesst und kommuniziert wird. Im Fokus des Vereins Pro Büvetta Tarasp stehen dabei unter anderem Umweltorganisationen, Forschungsstationen, Universitäten, die Wasser-Privatwirtschaft, Schulen und Museen. Angedachte Themenfelder sind beispielsweise Wasser und Energie, Wasser und Ethik sowie Menschenrechte, Wasser und Katastrophen sowie Wasser und Ernährung.

Die Büvetta ist ausserdem ein Teil des «Ensemble Nairs», zusammen mit dem Kurhaus Tarasp, der Villa Victoria und dem ehemaligen Badehaus. Letzteres wird nun schon seit 30 Jahren als Zentrum für Gegenwartskunst genutzt. Nairs könnte ein kulturelles und wissenschaftliches Zentrum zum Thema Wasser werden, welches auch touristisch einzigartiges Potential aufweist. Bis dahin ist noch ein Weg zu gehen, die Sanierung rund um die Trinkhalle ist nun der nächste Schritt. Derzeit leuchtet beim Eindämmern grünes Licht aus allen Fenstern der Büvetta. Eine Lichtinstallation von Men Duri Arquint, einem Bündner Architekten, als ein Zeichen, ein Mahnlicht bis die ersten Bauarbeiten beginnen.

Eine sehr viel kleinere, einfachere und 100 Jahre jüngere Trinkhalle in unmittelbarer Nähe kann bereits heute besucht werden. Die Büvetta Sfondraz wird im Sommer als Gartencafé genutzt. Dort gibt es zur Tasse Kaffee ein frisches Glas Wasser direkt ab der Quelle Sfondraz. Mit inbegriffen ist ein wunderbarer Ausblick auf den nur ein paar Schritte entfernten Inn, dem Fluss, der am Maloja-Pass entspringt.

Das Café Büvetta Sfondraz liegt atemberaubend direkt am Inn, nur etwas 30 Gehminuten von Scuol entfernt.

«Aua Forta» und «Pro Büvetta» 

Der Verein «Pro Büvetta Tarasp» wurde am 22. März 2012 – dem internationalen Tag des Wassers – in Nairs gegründet. Namhafte Personen und eine breite Trägerschaft aus Politik, Wirtschaft und Kultur haben diesen ins Leben gerufen. Pro Büvetta setzt sich aktiv für die Erhaltung, den Schutz und eine neue Nutzung des einmaligen geschichtlichen Erbes der Trinkhalle Tarasp ein. Denn dieses nationale Baudenkmal befindet sich in einem maroden Zustand und soll gerettet werden, um in Zukunft wieder als Energiepunkt und Zentrum der Anlage Nairs zu wirken. Ziel des Vereins ist es, diesen Kraftort wieder zu einem internationalen Anziehungspunkt zu machen: ein Ort, wo Wissenschaft, Kultur und Tourismus verschmelzen.

Auch 2019, vom 16. bis 22. März gehen die «Aua Forta  – Wassertage Engadin Scuol» mit einem vielfältigen Programm über die Bühne. Dabei steht das (Mineral-)Wasser mit all seinen Facetten im Fokus der einzelnen Veranstaltungen. Sowohl die kulturelle, biologische wie auch naturwissenschaftlichen Eigenschaften und ihre Bedeutung werden betrachtet Mit dabei ist auch der Verein «Pro Büvetta Tarasp», dessen jährliche, öffentliche Generalversamlung im Raumen der «Aua Forta» stattfinden wird. 

www.pro-büvetta-tarasp.ch

www.nairs.ch

Scuoler Mineralwasser Chalzina direkt vom Dorfbrunnen Bügl Grond.

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