Im Frühling vergangenen Jahres versandte Marcel Schwander, CEO von Strasserthun, eine WhatsApp-Nachricht an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: «Werdet aktiv, helft mit, Aufträge hereinzuholen, damit wir weiterarbeiten können», lautete die Botschaft. Denn die Lage der Schreinerei war ungemütlich. Die Pandemie hatte unser Land erreicht und für eine erste Welle von Auftragsrückzügen im Unternehmen gesorgt, zu dessen Kunden zahlreiche Hotels und Restaurants gehören.
Die Ausgangslage war keine einfache: Es sollte ein Erzeugnis entstehen, das echten Kundennutzen stiftet, aber auch Strasserthun dient. Einfach in der Herstellung sowie Ausgestaltung sollte es sein. Ausserdem einen deutlichen Bezug zur Pandemie haben, einsatzfähig darüber hinaus bleiben dennoch. Und, bevor wir’s vergessen, ökologisch korrekt plus preiswert müsste dieses Ding, das es zu erfinden und entwickeln galt, ebenfalls sein. Worauf einige der 76 Mitarbeiter von Strasserthun, gegründet 1947, eine ähnliche Idee hatten, erinnert sich Produktionsleiter Peter Zbären – «und schon drei oder vier Tage später war das erste Exemplar der Desinfektionsstation Clean fertig.»
Desinfektionsstation? Verkürzt wiedergegeben, handelt es sich dabei um einen Korpus aus naturbelassener Fichte. Dieser bietet zwei Flüssigkeitsspendern Platz – beispielsweise Desinfektionsmittel von Soeder, einem Pflegemittelhersteller-Kollektiv aus Zürich und seit diesem Jahr «Upgrade your Clean»-Partner – sowie einem 35-Liter-Kehrichtsack für benutzte Schutzmasken. Der Clean kommt als einfach zu montierender Bausatz daher und ist, abgesehen davon, dass er schick aussieht, wind- und wetterfest; die zehn intuitiv zusammensteckbaren Teile werden mittels der von Strasserthun entwickelten Laser-Technologie gefertigt, es handelt sich beim Clean also um ein Erzeugnis, in dem viel von dem steckt, was die Verantwortlichen der Schreinerei als eine ihrer Kernkompetenzen beschreiben.
Kundenwünschen entsprechend, kann die Station mit einer Werbebotschaft beziehungsweise einem Firmennamen versehen werden. In der Schreinerzeitung wurde sie denn auch als «Lichtblick in der Coronakrise» beschrieben, der Kritiker des Idealen Heims lobte den «sauberen Auftritt» des Clean und in Raum und Wohnen wird das Desinfektionsmöbel als Beweis dafür gesehen, dass Strasserthun «dynamisch funktioniert». Wenn man von aussen viel Lob erhält, dürfen auch Mitarbeiter der Firma ein wenig Stolz zeigen – die Entwicklung sei «irgendwie genial», sagt Produktionsleiter Zbären.
Etwas zu entwickeln, ist das Eine. Dieses in der Folge zu verbreiten und unter die zahlende Kundschaft zu bringen, das Andere. Sie erinnern sich an den WhatsApp-Aufruf von CEO Schwander: «Werdet aktiv, damit wir weiterarbeiten können.» Diese Botschaft kam auch bei Jana Ganahl an, einer von acht Lernenden, die Strasserthun jährlich zu Schreinerinnen und Schreinern ausbildet. Sie machte sich mit Nachdruck daran, die Desinfektionsstation in ihrem engeren und weiteren Freundes- sowie Bekanntenkreis zu bewerben. Und, naheliegenderweise, ihrem Vater davon zu erzählen. Der erkannte, dass es sich dabei auch für seine Arbeitgeberin, die Helvetia Versicherungen, um ein «hervorragendes Werbeobjekt» handelte. Der Chef der Thuner Generalagentur, wo Daniel Ganahl als Marktverantwortlicher Vorsorge/Finanz angestellt ist, war beeindruckt und bestellte 15 Exemplare des Clean mit heutigem Listenpreis von 169 Franken das Stück.
Wenn etwas in Thun funktioniert … Also begrüssten Ganahl und sein Generalagent Hanspeter Gerber den Aussendienst-Leiter der Region. Auch der fand Gefallen am schlichten, Fichtenstück, dessen naturbelassene Fläche sich eignet zum Laser-Gravieren mit dem Helvetia-Logo – oder der Corporate Identity von Kunden. Um es kurz zu machen: Bis heute haben die Helvetia Versicherungen zirka 1250 Clean-Stationen bestellt.
Ein anderer Kunde ist die Firma Bindella, ein Familienunternehmen wie Strasserthun. «Viele unserer Werte stimmen überein, etwa die hohen Qualitätsansprüche», sagt Rudi Bindella Junior, in der Geschäftsleitung zuständig für Gastronomie-Innovationen und -Projekte. Er bestellte für die Restaurants der Gruppe in der Deutsch- und Westschweiz bisher rund fünfzig Stationen. Es sei wichtig, Gästen ein möglichst sicheres Gefühl zu vermitteln. «Neben dem frühen Einführen hausgemachter Trennwände, wollten wir eine Händedesinfektion anbieten», sagt er, «da kam die Clean-Station von Strasserthun gerade recht.» Die Ware sei in Rekordgeschwindigkeit für die Betriebe bereit gewesen. Und «auch das Preis-Leistungs-Verhältnis hat uns überzeugt.»
Mittlerweile konnten insgesamt über 2500 Exemplare des Clean ausgeliefert werden. Was die Desinfektionsstation zahlenmässig wohl zum bestverkauften Stück der Strasserthun-Geschichte macht. Doch selbst damit ist die Erfolgsstory noch nicht zu Ende geschrieben: Der Clean löst Folgeaufträge aus. Für Bindella beispielsweise konnten sogenannte Flyerstationen hergestellt werden, die vom Entwurf und dem Auftritt her an den Clean angelehnt sind.
Businessbücher-Autoren schreiben oft über die «Krise als Chance» und auch Motivations-Coaches bedienen sich dieses Satzes. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Strasserthun haben mit ihrer Idee und Umsetzung der Desinfektionsstation Clean gezeigt, was damit gemeint ist. Und wie das geht.