Massgeschneiderte Nisthilfen

Junges Design: Interview mit Obru – Agnes Eklund

Ein Portrait von Agnes Eklund.

Die Diplomarbeit von Agnes Eklund wurde durch Marco Sacchi und das Naturnetz unterstützt. 

Moderne Bauweisen erschweren vielerorts die Lebensbedingungen von Vögeln, die seit Jahrhunderten auf menschliche Architektur angewiesen sind. Die Nisthilfe «Obru» nutzt die bebaute Landschaft und bietet für gefährdete Arten an Betonbrücken neuen Unterschlupf. 

Was war die Motivation hinter deinem Projekt «Obru»?
Agnes Eklund: An der ZHdK begibt man sich im Verlauf des Herbstes auf Themensuche für die Bachelorarbeit, damit man im Januar beginnen kann. Von Anfang an wusste ich, dass ich etwas mit Naturschutz realisieren und entwickeln wollte. Dieses Feld ist im Industrial Design kein grosses Thema und so reizte mich die Aufgabe noch mehr. Das Zusammenleben zwischen den Menschen und Tieren geht in unserer Gesellschaft mehr und mehr verloren, obwohl man eigentlich sehr nah beieinander lebt. So nahm ich mit vielen Naturschutzorganisationen Kontakt auf. Eine Antwort bekam ich schlussendlich von Marco Sacchi, Gründer und Geschäftsführer des Naturnetzes. In einem Gespräch präsentierte er mir das Thema und ich fand es von Anfang an sehr spannend.

Was steckt hinter dem Namen «Obru»?
AE: Es ist ein Fantasienamen, den ich jedoch kurz und prägnant halten wollte.

Du stellst vier Modelle für vier verschiedene Vogelarten vor. Kannst du uns etwas über die jeweiligen Eigenschaften der Nisthilfen erzählen?
AE: Es gibt mehrere Vogelarten, die man unter dem Begriff Gebäudebrüter zusammenfasst. Das sind alles Vögel, die früher an Felsen brüteten. Als im Mittelalter kleine Städte und Gebäude entstanden, suchten sich diese Vögel an und in den Fassaden Nistplätze. Dies ging sehr lange gut, da alte Bauernhäuser sowie Häuser mit undichteren Fassaden viele Spalten und Ecken aufwiesen. Da man seit etwa 100 Jahren jedoch extrem dicht und «clean» baut, finden die Vogelarten an den angestammten Orten keinen Platz mehr. Das Bundesamt für Umwelt weist allen Gebäudebrütern die Kennzeichnung CD zu; Conservation-Dependent. Das bedeutet, dass sie von den Schutzmassnahmen des Menschen abhängig sind, damit sie nicht mehr gefährdet sind. Für mein Projekt wählte ich Mauersegler, Alpensegler, Dohlen und Turmfalken aus. Das sind alles Schweizer Vogelarten, die jeden Sommer zurück an den gleichen Ort fliegen, um zu brüten. Die Brücken bieten daher ideale Verhältnisse für die Nistplätze. Betonbrücken werden von den Vögeln als Fels angesehen und dank dem grossen Überhang sind sie vor Witterung geschützt. Ausserdem erreichen sie an der Brücke keine anderen natürliche Feinde.

Wieso braucht es für jede Vogelart eine «massgeschneiderte» Nisthilfe?
AE: Die Vögel brauchen nicht nur unterschiedlich viel Platz zum Brüten, sie erreichen die Nisthilfen auch alle in verschiedenen Anflugwinkeln. Alpensegler, Mauersegler wie auch die Dohle sind Kolonien-Brüter. Sie brüten in Gruppen. An solchen Orten müssten dann auch mehrere Kästen aufgestellt werden. Bei der Entwicklung dieses Produktes war stets die Rede der Ansiedlungswahrscheinlichkeit: Je mehr man auf die Bedürfnisse der Vögel eingeht, desto höher wird die Ansiedlungswahrscheinlichkeit. Während der Arbeit traf ich meine Entscheidungen immer aus dem Gedanken heraus, wie kann ich am meisten auf ihre Bedürfnisse eingehen.

Als Werkstoff für die Nistkästen benutzt du Holzbeton? Wieso hast du genau dieses Material ausgewählt?
AE: Aus Erfahrungsberichten weiss man, dass Vögel Materialien wie Holz, Eternit und Holzbeton gut annehmen. Unsere Brücken werden im Schnitt alle 30 Jahren totalsaniert, dementsprechend sollten die Kästen auch so lange halten. Weiter entschied ich mich auch aus ästhetischen Gründen für Holzbeton. Ich wollte unbedingt mit einem Material arbeiten, welches durch einen Guss runde Formen annimmt. Nistkästen aus Holz gibt es haufenweise, da musste ich nichts Neues mehr erfinden.

 

 

Auf einer Fläche sind mehrere Proben der Nisthilfe aus Holzbeton ausgelegt.

Holzbeton eignet sich wegen seiner Materialeigenschaften ideal als Werkstoff für Nistkästen.

Wie lange bleibt eine Nisthilfe bestehen?
AE: Idealerweise werden die Käste jedes Jahr gewartet, damit man das alte Nistmaterial entfernen und das Überleben von Parasiten verhindern kann. Die Griffmulde an der Unterseite des Kastens wird aufgeklappt und so fällt das Material ganz einfach heraus. Und da der untere Teil leicht erschwert ist, fällt die Klappe auch selbstständig in die Originalform zurück. Sie können aus einer Distanz von zwei bis drei Metern entleert werden. Das heisst, dass man in den meisten Fällen eine Leiter oder Hebebühne brauchen wird.

Mit welchen Herausforderungen warst du während deinem Projekt konfrontiert?
AE: Ich hatte mit Biologen und Brückeningenieuren einen engen Kontakt. Ich führte viele Gespräche mit dem Tiefbauamt und dem Bundesamt für Strassen. Dabei traf ich auf viele Instanzen mit teilweise fest gefahrenen Meinungen, die meine neuen Ideen oftmals nicht unterstützten. Und da ich in keinem der verschiedenen Bereichen eine Spezialistin war, musste ich die Position des «Studis» einnehmen. Das kostete mich viel Mut – sich selbst zu vertrauen und der eigenen Vision zu folgen, war für mich die grösste Herausforderung.

Wie soll die Zukunft von «Obru» aussehen?
AE: Das frage ich mich auch? Ich persönlich fände es sehr spannend und schön, weiter an diesem Thema zu arbeiten. Es ist kein Projekt, welches in kurzer Zeit getestet werden kann. Ob und wann die Ansiedlung der Vögel stattfindet, kommt ganz auf die Laune der Natur an. Ich stelle mein Projekt ebenfalls bei der Plattform Jungdesign im Designgut Winterthur aus. Vom 2. bis am 5. November kann man die Ausstellung besichtigen. 

Was ist dein Anspruch an zeitgemässes, modernes Design?
AE: Ich habe viele Ansprüche: Ich weiss jedoch nicht, ob man diesen gerecht werden kann. Design muss sich teilweise neue Themenfelder suchen, wie zum Beispiel den Naturschutz. Man soll die Ästhetik und Gestaltung nutzen, um ungewöhnlichere Projekte zu «pushen». Das war auch sehr wichtig für mein eigenes. Durch die Formgebung des erkennbaren Kastens macht es das Thema zugänglicher und verständlicher, als wenn das Problem superrational gelöst wurde.

Wo bist du am kreativsten?
AE: Sobald ich den Ort verlasse, an dem ich eigentlich arbeite. Ich kann Ewigkeiten am Schreibtisch sitzen und das Gleiche tun und im Moment, wenn ich eine Pause mache und die Perspektive wechsle, fällt mir etwas ein.

Was holte dich aus einer Kreativ-Blockade heraus?
AE: Mitstudierende – ich arbeitete eigentlich immer an der ZHdK an meinem Projekt und dies auf engstem Raum mit anderen Student:innen, die ebenfalls an ihren Projekten tüfteln. Man hilft und unterstützt sich eigentlich immer gegenseitig.

 

www.linkedin.com/in/agnes-eklund

Da die Einfluglöcher auf die spezifischen Körpermasse der Vögel angepasst wurden, vermeidet man eine Konkurrenz der Brutplätze. 

Jede Vogelart hat eigene Bedürfnisse, was sich in Form und Grösse der Nistkästen spiegelt.