Social engineering mit Design

London Design Biennale & Design Festival

«MultiPly» von Waugh Thistleton Architects: Der modulare Pavillon im Sackler Courtyard des V&A Museum stellt sich beim Erklettern als komplexes Labyrinth von verschiedenen Räumen heraus. Er wurde als eine Art Monument der Nachhaltigkeit in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurkonzen Arup und dem American Hardwood Export Council produziert.

«Bubbles Chandelier» von Chris Pearce in der Schau «PlasticScene»: Plastikabfall wird zu Luxus in dieser spielerischen Leuchte, die in limitierter Auflage produziert wurde. Rezykliertes Plastik soll durch Designer in begehrenswertes Gut verwandelt werden.

«Not Only Hollow Chair» von Dirk Vander Kooij: Der Stuhl aus 100 Prozent rezykliertem Abfall wurde von einem Roboter in einem neuartigen 3D-Printing-Prozess produziert. Er schmolz Plastik in hohle Röhren und formte ihn zu einem minimalistischen Sessel. 

«Alphabet» von Kellenberger-White: Das schweizerisch-britische Designduo kreierte 26 Stühle aus Metall in Form von Buchstaben und setzte sie auf einen Platz im Businessviertel Finsbury Square. Jeder Buchstabe trägt eine Farbe, die weltweit für Metallarbeiten verwendet wurde, etwa das Orange der Golden Gate Bridge in San Francisco.

Pünktlich zum Herbstbeginn überschäumt London geradezu vor Kreativität. Es wirkt, als ob sich die vom Brexit bedrohte Kapitale zum Trotz noch mehr zum Magneten der internationalen Kreativindustrie machen wollte. Das Design-Festival legt sich wie ein Fieber über die ganze Stadt und infiziert vom Westen im eleganten Brompton über das revitalisierte Kings Cross Quartier bis zum gentrifizierten Shoreditch im Osten scheinbar jede Ecke mit Design in Form von Design-Trails, Pop-up-Stores, Produktlancierungen und Verkaufsausstellungen. Erster Befund: Rezyklierbares Plastik wird dieses Jahr definitiv salonfähig gemacht, digitale Technologien finden noch stärker Eingang in den Designprozess. In Kings Cross lud etwa Platzhirsch Tom Dixon in sein neues Hauptquartier. Er zeigte mit «Electroanalogue» die Möglichkeiten digitaler Technologien, etwa mit Lederkunsthandwerkstudio Bill Amberg. Und in unmittelbarer Nachbarschaft weckten in der Schau «Plasticscene» internationale Designer wie Dirk Vander Kooji Plastikabfall zu neuem Leben. 

Bei dem uferlosen Angebot strebte man gern zu den beiden Epizentren des Festivals. Glanzlicht war das ineinander verschachtelte 3D-Labyrinth aus amerikanischem Tulpenholz von «MultiPly» von Waugh Thistleton Architects im V&A Museum. Das raffinierte Bauwerk ist nicht nur Augenweide, sondern auch Fingerzeig auf die Wohnungsnot und die Notwendigkeit nachhaltiger Bauweise. Als inspiriertes, auf soziale Fragestellungen ausgerichtetes Laboratorium entpuppte sich die zum zweiten Mal stattfindende internationale Design Biennale in Somerset House. Unter dem Thema «Emotional States» präsentierten 40 Länder Antworten auf soziale und emotionale Bedürfnisse. Rückbesinnung auf traditionelles Kunsthandwerk, Neuinterpretation der verpönten Kohle, in nützliche Objekte umgewandelter Abfall, Antworten auf den Klimawandel allerorten, aber auch Design als Treiber für Wirtschaft und für den Ausdruck gesellschaftlicher Offenheit. Nimmt man die erhöhte Aufmerksamkeit der Politiker für die emotionale Befindlichkeit der Menschen als Gradmesser, müsste Design im Alltag künftig noch mehr seine ganze sozial und emotional transformative Kraft entfalten.

Der griechische Beitrag  «Disobedience» erscheint als in eine kinetische Installation transformiertes Nationalgefühl: Der begehbare Tunnel aus Stahl und rezykliertem Plastik verformt sich um jeden Körper, der durch ihn wandelt, und fordert unser statisches Verständnis von Architektur heraus.

Die Installation «Disobedience» von Studio INI breitet sich in ihrer ganzen Länge von 17 Metern über den majestätische Autorität ausstrahlenden Hof des Somerset House aus.

«Full Spectrum» von Flynn Talbot: Die raumgreifende Lichtinstallation aus farbigen Glasfaserlicht-Strängen ist der australische Beitrag an der Design Biennale. Inspiriert vom neu erlassenen australischen Gesetz, das gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt, kreierte Talbot eine Installation, die Liebe und Toleranz kommunizieren soll.

Die Installation «Aangan» zelebriert traditionelles Textilhandwerk in Pakistan, das zum Grossteil von Frauen ausgeübt wird. Pakistan ist der weltweit viertgrösste Baumwollproduzent – dank Baumwollpflückerinnen, Weberinnen und Näherinnen.

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