Licht, Luft, Stein

Tessin: Wespi de Meuron Architekten

Ein Foto der Aussicht welche man vom Haus aus hat.

Die Terrassenfläche an der Wohnebene schiebt sich bis in den vorgelagerten Pool mit Blick über den See.

Das Tessin ist bekannt für sein mildes Klima, seine palmengesäumten Seen und die besondere Architektur der Rustici: Die typischen Steinhäuser, in der lokalen Bautradition aus Granit errichtet, finden sich nach wie vor in zahlreichen Dörfern und Orten. Der grosse Baumeister Mario Botta gilt als Pate einer zeitgenössischen Architekturhaltung in der Region, die sich dieser traditionellen Bauweise verpflichtet fühlt, diese aber mit klaren geometrischen Formen neu interpretiert und ins Heute holt. 

Zu den erfolgreichen jüngeren Tessiner Planungsbüros gehören Wespi de Meuron Architekten, die seit der Bürogründung 2002 zahlreiche markante Umbauten und Neubauten im Kanton und darüber hinaus realisiert haben. Seit 2012 firmiert das in Caviano ansässige Büro unter dem Namen Wespi de Meuron Romeo Architekten, geführt von Markus Wespi, Jérôme de Meuron und dem 1984 in Locarno geborenen Luca Romeo. Das Dreiergespann bezieht sich, unabhängig von konkreten architektonischen Vorbildern, bei seinen Projekten stets auf lokale Bautraditionen. «Wir sehen uns als Finder, nicht als Erfinder», stellt Jérôme de Meuron fest. Respektvoll analysieren Wespi de Meuron Romeo Architekten für ihre Bauten jeweils Ort, Umgebung, vorhandene Materialien und Strukturen – und denken das Vorgefundene weiter. 

«Die überwältigende Felsentopografie des Steilhanges wird im wahrsten Sinne des Wortes zum projekttragenden Element.»
Ein Foto des Wohnzimmers der Hause.

Im Wohnbereich treffen warmes Eichenholz und softe Textilien auf den kühlen Granit der Natursteinwände.

Die Felsentopografie des Steilhanges

So auch bei einem Haus, unlängst fertiggestellt auf einem spektakulären, fast 1000 Quadratmeter umfassenden Hanggrundstück schräg oberhalb von Ascona: Den Footprint eines Vorgängerbaus aus den 1950/60er-Jahren nutzten die Architekten als Grundstruktur für einen ausdrucksstarken Flachdachbau aus Beton, Glas und Granit, der sich über abgetreppte Ebenen mit seinem Ort verzahnt. «Die überwältigende Felsentopografie des Steilhanges wird im wahrsten Sinne des Wortes zum projekttragenden Element», erklärt Jérôme de Meuron. «Die bestehenden Natursteinstützmauern, die schon das alte Haus in diesem Hang verankerten, haben wir belassen und für unseren Entwurf weitergesponnen. Und auch die Grundrissstruktur des Vorgängerbaus, die sich in Form von drei abgeknickten Rechtecken der Topografie anglich, blieb im Kern erhalten, passt sich aber in ihren Dimensionen an die neue Nutzung an.» 

Ein Foto des Esszimmers. Der räum ist von einer Glaswand von einer steinigen Wand abgetrennt.

Der Baukörper aus Glas, Beton und Naturstein hält respektvoll Abstand zur Felswand in seinem Rücken.

Licht, Luft und Stein scheinen die wesentlichen Baumaterialien für das Haus zu sein, das wie organisch aus dem dicht begrünten Hang gewachsen wirkt.

Die Bauherrin bewohnt das Haus permanent und bekommt an den Wochenenden Gesellschaft von ihrer Tochter aus der Stadt. Sie kannte Arbeiten von Wespi de Meuron Romeo aus Veröffentlichungen und nahm Kontakt zu den Architekten auf, nachdem sie das Grundstück erworben hatte. «Ihr war wichtig, dass das Haus auch als Alterswohnsitz funktioniert», so die Architekten, die in der Konsequenz die Bereiche Wohnen, Kochen, Essen sowie Schlaf- und Badezimmer barrierefrei auf einer Ebene (Floor 0) arrangierten. Hier hält sich die Hausherrin hauptsächlich auf; geschickt geplante Terrassen­flächen an allen Räumen sowie ein 3 mal 13 Meter grosser Pool erweitern diese Haupt­ebene nach draussen. Den deutlich höher gelegenen Zugang zur Strasse erreicht man über viele Treppenstufen – oder bequem per Aussenlift. Eine Etage tiefer im Hang (Floor –1) befinden sich Schlaf- und Badezimmer der Tochter sowie ein Gästezimmer; über Terrassenflächen sowie eine überdachte Loggia haben die Planer diese ebenfalls mit dem Aussenraum verzahnt.

 

Ein Foto des Badezimmers.

Auch im Badezimmer fügen sich die Werkstoffe Naturstein, Beton, Glas und Eichenholz harmonisch zusammen.

Innen und aussen im Dialog

Licht, Luft und Stein scheinen die wesentlichen Baumaterialien für das Haus zu sein, das wie organisch aus dem dicht begrünten Hang gewachsen wirkt. Offen gehen die einzelnen Funktionsbereiche auf der Wohnebene ineinander über, scheinbar nahtlos gestalten sich die Übergänge von innen nach aussen. Der durchgehende Boden aus bruchrauen Steinplatten verstärkt den Effekt von fliessenden Übergängen zusätzlich. Gross-flächige, raumhohe Öffnungen rahmen Panoramablicke über den See und in die Landschaft. Hangseits hält der im Kern aus Beton und Glas errichtete Neubau bewusst Abstand zum Felsen; die durchgehende Glasfassade auf der Rückseite macht diesen auch im Innenraum erlebbar. Nachts ist die Fuge zwischen Fassade und Fels warmweiss beleuchtet; tagsüber reflektiert die Felswand auf angenehme Weise das Sonnenlicht. Indirekt fällt es so in die Innenräume; dabei ist die Sonneneinstrahlung wohl dosiert. Richtung See und Süden platzierten die Architekten eine vorgesetzte Filterfassade aus Stein. Diese dient als konzeptioneller Sonnenschutz, damit sich die dahinterliegende Glasfassade nicht übermässig aufheizt – und erinnert mit vielen kleinen, scheinbar zufällig gesetzten quadratischen Öffnungen an eine Burg.

«Um die neue Architektur bestmöglich in den Felsen zu integrieren, haben wir für das Haus selbst ebenfalls Natursteinmauern gewählt.»
Ein Foto des Schlafzimmers.

Zwischen Glasfassade und Fels am Schlafbereich speist ein sanft plätschernder Brunnen eine Wasserfläche.

«Um die neue Architektur bestmöglich in den Felsen zu integrieren, haben wir für das Haus selbst ebenfalls Natursteinmauern gewählt», erklärt Jérôme de Meuron. «Wichtig war uns wie auch der Bauherrin dabei, den Stein möglichst authentisch zu verwenden.» Passend zur Baukultur des Ortes, wurden die Trockenmauern aus regionalem Granit gebaut, dabei wiederverwertete Steine aus Abbruchhäusern mit neuen gemischt, was ein lebendiges Gesamtbild aus Beige- und Grautönen ergibt. Die vielen wie zufällig gesetzt wirkenden kleinen Öffnungen in der Steinfassade geben bewusst Ausblicke in die Landschaft frei und lassen Licht einfallen. «Sie verleihen dem Entwurf etwas Leichtes, ohne das stimmige Gesamtbild zu stören. Der Körper des Hauses wirkt nicht perforiert, der gewollt monolithische Charakter bleibt erhalten», so der Architekt.

 

Ein Foto des Eingangs.

Nach Süden platzierten die Architekten eine vorgesetzte Filterfassade aus Stein, die als Sonnenschutz dient.

Warmes Holz zu kühlem Granit

Wohnliche Akzente zu Naturstein, Glas und Beton im Innenraum setzen Einbauten aus Eichenholz, die nach Entwürfen der Architekten vom Schreiner auf Mass gefertigt wurden. Für Esstisch, Küchenelemente, Schrankfronten, Schiebetüren und den Bettrahmen wurde das massive Eichenholz lediglich geölt und erhält mit der Zeit eine lebendig anmutende, gewollte Patina. Kleine Beistell­tische aus massiver Eiche gesellen sich zur weich gepolsterten Sofaecke vor dem offenen Kamin, der an kühlen Wintertagen behagliche Wärme spendet. Unter dem Natursteinboden im Haus wurde eine Fussbodenheizung verlegt, sodass der Granit in den kühlen Monaten angenehm fusswarm zu begehen ist. 

Im Sommer sind die zwei Seiten des Hauses wie Yin und Yang – nach Süden finden sich sonnige Plätze auf den Terrassenflächen und am Pool, zum Hang hin angenehm schattige Plätze. Gegenüber des Badezimmers schwimmen Fische in einer kleinen Wasserfläche mit sanft plätscherndem Brunnen vor der Felswand. Der schönste Platz für laue Sommerabende allerdings ist die grosse Dachterrasse: Hier geniesst man den ungestörten Panoramablick über Ascona und den Lago Maggiore, bis die Sonne hinter den umgebenden Bergen untergeht.

Ein Portraitfoto der Architekten.

Wespi de Meuron Romeo Architekten

«Architektur, zeitlos selbstverständlich, verwoben mit Baukultur und Ort, verwurzelt wie schon immer da gewesen, mehr Entdeckung als Erfindung, aus altvertrauten Stimmungen Neues schaffen, Atmosphäre, Licht und Schatten, das mögen wir», sagen Wespi de Meuron Romeo Architekten von sich selbst. Zahlreiche herausragende Umbauten und Neubauten im Tessin und darüber hinaus hat das in Caviano am Lago Maggiore ansässige Büro in dieser Geisteshaltung realisiert, darunter etliche markante Villen. Markus Wespi (*1957, re.) ist seit 1984 als Architekt tätig und gründet 2002 mit Jérôme de Meuron (*1971, li.) ein gemeinsames Büro. 2012 stösst Luca Romeo (*1984, Mitte) dazu; seitdem firmiert das Büro unter dem Namen Wespi de Meuron Romeo Architekten.

www.wdmra.ch

Ein Foto des Hauses von aussen.

An einem Steilhang oberhalb von Ascona entstand der Neubau auf dem Footprint eines 1950/60er-Jahre-Baus. 

ARCHITEKTUR: Wespi de Meuron Romeo Architekten BSA AG, Caviano  

MÖBEL & EINBAUTEN: Küche, Esstisch, Betten: massgefertigt nach Entwurf der Architekten

BAUJAHR: 2022 

GRUNDSTÜCKSGRÖSSE: 924 m2 

NETTOGESCHOSSFLÄCHE: 125 m2 

Mitwirkende Spezialist:innen: Bauingenieur: Pianifica SA, Locarno; Bauphysik: IFEC Ingegneria SA,
Rivera; 

Baumeister: Franco Pedrazzi & Figli SA, Golino; Fensterbauer: SOREG AG, Wädenswil; Schreinerarbeiten:
Romeo Buss GmbH, Arth

Cover der Zeitschrift Das Ideale Heim

Diesen und weitere spannende Artikel sind in der Ausgabe 4/2024 der Zeitschrift Das Ideale Heim zu finden.