Dialog zwischen Kompetenzen

Amandine Gini und Victor Moynier

zwei Personen tragen Holzbretter durch Innenhof

Lösungsorientiert: Das Studio interessiert sich für die Rolle von Design bei der Gestaltung der Zukunft.

Im Quartier unweit des Bahnhofs von Lausanne gibt es eine grosse Dichte von kleinen Läden und Cafés. Mitten in diesem lebendigen Milieu konnten Amandine Gini und Victor Moynier vor zwei Jahren ein Atelier mieten, das sie mit anderen Kreativen teilen. Die Atmosphäre des Studios ist ungezwungen und «undergroundig»; man kann das Untergeschoss auch direkt, quasi durch den Künstlereingang, betreten. Am Boden erkennt man Spuren von Farbe, zuvor hatte eine Künstlerin ihr Atelier hier. Aufgrund der besonderen Topografie der Stadt haben die Souterrains vieler Häuser Tageslicht. Auch sonst hat es alles, was Designschaffende als Basis brauchen. Die zwei Designer nutzen diese besondere Umgebung, um gemeinsam an Produkten, Szenografien und Bildwelten zu tüfteln. Beide haben Produktdesign an der ECAL studiert und taten sich nach mehreren Jahren Berufserfahrung zusammen.

Arbeitsplatz mit am Fenster

Arbeiten im Untergrund: Das Atelier befindet sich im Soussol eines alten Gebäudes.

Was bewog euch zur Gründung des Studios Gini Moynier?

AMANDINE GINI: Wir kannten uns schon von der ECAL und lernten uns später besser kennen, als wir im gleichen Büro arbeiteten. Eine erste Zusammenarbeit ergab sich zufällig.

VICTOR MOYNIER: Amandine hat eine grosse Sensibilität für Materialien und Räume. Mir waren diese Themen weniger vertraut, ich habe vorher mehrere Jahre in der Industrie gearbeitet, ich war an kleinere Massstäbe und längere Entwicklungsperioden gewohnt. Mir gefiel das Spontane dieser neuen Arbeitsweise. Unsere unterschiedlichen Kompetenzen und Visionen ergänzen sich ideal.

Ich habe erstmals während des Salone del Mobile 2023 im «House of Switzerland» eine Arbeit von euch gesehen. Könnt ihr zu diesem Leuchtenentwurf etwas erzählen?

AG: Dass wir als Studio eine gemeinsame Identität gefunden haben, ist auch der NOV Gallery zu verdanken, für die wir zwei Projekte machen konnten. Unser erstes gemeinsames Objekt war die Leuchte «Offset». Das Thema der Ausstellung war damals «Paper Trail». Wir wollten der japanischen Papierlaterne etwas Futuristisches einhauchen und einen Bezug zu zeitgenössischen Technologien schaffen. Wir waren von der Verpackungsindustrie inspiriert. Uns interessiert die Verbindung von Handwerk und Technologie.

VM: Dieses Projekt hat einen Boden geschaffen für spätere Arbeiten. Wir wollten einen Dialog zwischen dem historischen Erbe und seiner heutigen Relevanz anstossen. Um die Zukunft besser zu verstehen, haben wir aus überliefertem Wissen und alten Typologien geschöpft. Darum haben wir eine Leuchte aus Papier gemacht.

Auslage mit vergangenen und aktuellen Arbeiten, darunter zwei Holztablets aus der Serie «Patchwork».

Im Dialog: Der holistische Ansatz des Büros erfordert ein ständiges Verhandeln.

Testphase: Die beiden Designer mögen es, sich auf neue Materialien und Fertigungsmethoden einzulassen.

Im Fokus: Das kleine Atelier gibt Einblick in das Schaffen des jungen Gestalterduos.

Das Material wirkt sehr hightech, ist aber industriell kompostierbar. Woher kommt es?

VM: Das Papier ist extrem technisch, es stammt aus der Verpackungsindustrie und wird genutzt, um Kaffeebohnen zu verpacken. Der Luftdruck muss dabei stets stabil bleiben. Das Material ist mit PLA laminiert, das aus Stärke und Cellulose, also aus natürlichen Materialien, gewonnen wird. Die ersten Prototypen haben wir mit laminiertem Papier aus der Metzgerei gemacht. Erst später haben wir dieses Material gefunden. Wir haben sogar ein besonderes Werkzeug entwickelt, um es zu bearbeiten.

AG: Für die drei Leuchtenobjekte haben wir lange recherchiert und viel experimentiert. Es ist modernes Handwerk: Wir nutzten zwar Maschinen, mussten aber herausfinden, wie wir sie richtig handhaben.

Die zweite Zusammenarbeit mit NOV war «Formwork», eine Kollektion von Möbeln, die zum Teil aus wiederverwendeten Holzbrettern aus der lokalen Baubranche besteht. Dafür habt ihr 2024 einen «Dezeen Award« gewonnen. Ist daraus etwas Neues entstanden?

VM: Ja, der Preis hat uns Türen geöffnet. Wir arbeiten zurzeit mit einer dänischen Firma und versuchen die Idee des Material-Patchworks weiterzuentwickeln.

Hocker, Stuhl und Wandregal aus Holz

«Formwork» entstand für die NOV Gallery. Die Kollektion besteht aus einer Kombination von Fichtenholz aus der Bauindustrie und Eichenholz.

Wandleuchte aus Papier

High Tech trifft auf Poesie bei der Leuchte «Offset».

Themen wie Nachhaltigkeit und Überkonsum sind heute aktueller denn je. Wie reagiert man als junges Designbüro auf diese Herausforderungen?

AG: Wir arbeiten als Studio auf mehreren Ebenen. Was Produkte betrifft, sind wir für die Industrie tätig. Oder für Galerien; da können wir unsere Entwürfe nutzen, um neue Geschichten zu erzählen. Und bei der Szenografie überlegen wir stets, was mit den Materialien nach der Ausstellung geschieht. Wir haben auch begonnen, als Creative Director zu arbeiten; dort hat man als Designer grossen Einfluss.

VM: Die Industrie ist Teil des Problems. Als Designer möchten wir Teil der Lösung sein. Wir haben das Glück, mit Kunden und Institutionen zusammenzuarbeiten, die unsere Vision und unsere Werte teilen. Wir diskutieren schon zu Beginn über diese Themen und stossen bei den meisten Herstellern auf offene Ohren. Wir verstehen uns als kreatives Studio mit einem holistischen Ansatz. Es geht uns in erster Linie um die Wahl einer Methodologie. So haben wir das an der ECAL gelernt. 

«Uns inspiriert die Zusammenarbeit mit Fachleuten aus unterschiedlichen Disziplinen.» 

Dieses Jahr wart ihr für die Szenografie des Auftritts von Pro Helvetia am Salone zuständig. Was waren diesbezüglich eure Überlegungen?

AG: Das diesjährige Thema war «Collaboration». Es ging uns um die räumliche Übersetzung von Kollaboration. Wir haben uns dabei an den offenen Arbeitsräumen aus den 1960er- und 1970er-Jahren orientiert, wo das Thema Co-Working schon angelegt war. Auch bezüglich der Farbtöne haben wir uns von dieser Zeit inspirieren lassen. Wir haben bewusst eine ruhige Atmosphäre kreiert.

VM: Zu dieser Zeit kam die Utopie auf, dass sich das Design von Büros positiv auf die Art und Weise der Zusammenarbeit auswirken würde. Wir haben uns auf diese Vergangenheit bezogen, haben aber auch zeit-genössische Elemente integriert wie etwa «Charging Docks». Mit einer Art «Lobby» haben wir zudem einen Raum als Werkzeug des Austausches geschaffen.

AG: Wichtig war uns auch der Aspekt der Materialien. Wir konnten mit Faust Linoleum und Forbo Flooring Systems zusammenarbeiten. Linoleum findet man häufig in Büros, das schuf auch auf der materiellen Ebene einen Link zum Thema Arbeitsraum. Statt dieses wie üblich flach zu nutzen, haben wir mit dem Material Volumen kreiert, etwa Treppen und Plattformen. Am Schluss der Ausstellung wurden alle Stücke einem neu eröffneten Co-Working-Space in Mailand übergegeben, das hat uns sehr gefreut. Es gab quasi null Abfall.

kreisförmig angeornete Sitzhocker vor Backsteinwand

Salone calling: Dieses Jahr waren Gini Moynier für die Szenografie und die künstlerische Leitung des «House of Switzerland» während der Milano Design Week zuständig.

Könnt ihr euch betreffend CO2-Ausstoss auf Zahlen stützen?

AG: Teilweise ja. Pro Helvetia etwa publiziert Zahlen zur CO2-Bilanz ihrer Ausstellungen. Auch wir legen grossen Wert darauf, dass unsere Lösungen einen positiven Einfluss haben. In Zukunft würden wir gerne Tools finden und in unsere Praxis einbeziehen, um bereits im Vorfeld eines Projekts eine konkrete Einschätzung vornehmen zu können.

VM: Wir sind daran interessiert mit Leuten zu kooperieren, die ein spezifisches Fachwissen besitzen. Das inspiriert uns.

Ideen für die Zukunft?

AG: Mich würde es reizen, das Einkaufserlebnis für eine Marke neu zu denken.

VM: Ich würde gerne mit der Natur entwerfen. Ich habe die Vorstellung, Objekte wachsen zu lassen.

 

ginimoynier.com