«Beim Möbelentwerfen geht es uns vor allem ums Machen»

Atelier

Das Klybeckareal im Norden Basels war früher Industriegebiet. Diesen Charakter hat es bis heute nicht verloren. Wo früher die Firma Novartis produzierte, haben sich heute verschiedene Kreative niedergelassen, darunter auch das Designstudio Piccolli bestehend aus der Architektin Rina Rolli und dem Architekten Noël Picco. Bis voraussichtlich 2027 dürfen sie bleiben, dann soll das Areal weiterentwickelt werden. Noëls Architekturbüro Malheur&Fortuna befindet sich in Basel, Rinas – namens studioser – in Zürich und Lugano. Die beiden treffen sich regelmässig in ihrem Basler Atelier, um Gedanken auszutauschen und Neues auszuprobieren. Der erste Entwurf – ein Stuhl – entstand daheim in der Garage, später wurden die Werkzeuge professioneller. Diese besondere Form der Zusammenarbeit scheint in der jüngeren Generation von Architekturschaffenden gang und gäbe zu sein. Das Arbeiten in fluiden Konstellationen schafft Freiräume. Diese nutzen die zwei Produktetüftler, um ihre Designstücke mit einer gewissen Unvoreingenommenheit zu entwickeln.

eine Frau und ein Mann tragen gemeinsam ein Metallteil

Nomadisch: Die beiden arbeiten zwischen Basel, Zürich und Lugano.

Wie habt ihr euch kennen gelernt, und wie kam es zur Gründung von Piccolli?

NOËL PICCO: Wir kennen uns seit dem Architekturstudium an der ETH Zürich. Als wir 2019 abschlossen, beschlossen wir, etwas zusammen zu entwerfen; wir hatten während des Studiums nur einmal zusammengearbeitet. Als erstes Objekt entstand der «Mono Rock».

RINA ROLLI: Es ging vor allem darum, Ideen auszutauschen und zu sehen, was dabei herauskommt. Die gemeinsame Basis ist unser Enthusiasmus.

Was ist jeweils die Initialzündung für ein neues Projekt?

RR: Wir beginnen immer bei einem Produkt, das uns durch seine haptischen oder physikalischen Qualitäten anspricht. Das kann etwas Vorgefundenes sein, das wir im Sinne des Re-use neu interpretieren, oder ein standardisiertes Industrieprodukt. Mit unserer Herangehensweise geben wir diesen seriellen Produkten oder Objekten eine andere Funktion in der Möbelwelt.

Geht es also weniger um Materialien als um das neue Fügen von Bestehendem?

NP: Häufig gehen wir von Monomaterialien aus und unterwandern das Objekt durch neu Hinzugefügtes. Dabei findet eine Transformation von einem Serienobjekt zu einem Möbelstück statt, ein neues «Framing» quasi.

Erstling: Der «Mono Rock» entstand relativ spontan. Seither wurde die Herstellung verfeinert.

Tüfteln: Die richtige Krümmung der Kufen zu finden, war ein längerer Prozess.

Spielt bei dieser Verfremdung Ironie eine Rolle?

RR: Ja, das sieht man auch an den Namen der Stücke. Vom Initialprodukt ausgehend, spielen wir mit den Wörtern. Zum Beispiel wird der «Monobloc» zum «Mono Rock». Oder die Glasprofile «Profilit» werden bei uns zu «Profi Lit», wobei «lit» in der Jugendsprache cool bedeutet. Wir nehmen dadurch auch den geschützten Bezeichnungen die Ernsthaftigkeit.

NP: Uns ist es wichtig, Spass zu haben beim Arbeiten, das soll sich auch in den Namen widerspiegeln. Manchmal entstehen die Namen auch aus einem internen Witz.

Ihr habt bei unserem ersten Treffen auch von «bricolage», Bastelei, gesprochen. Sowohl Ästhetik als auch Herangehensweise scheinen dem Prinzip des Do-it-yourself zu entspringen. Was hat es damit auf sich?

NP: Wir möchten die gefügten Stellen offen zeigen. Das Fügen wird Teil der Ästhetik. Das Endprodukt soll aber leicht daherkommen, auch wenn es zum Bauen kompliziert ist.

RR: Wir sind weder ausgebildete Produktdesigner:innen noch professionelle Handwerker:innen. Der Prozess hat immer mit Ausprobieren zu tun. Das Schlussprodukt soll zwar die Denkart der «bricolage» beinhalten, aber nicht unbedingt so aussehen. Im Prozess ist in erster Linie das Zusammenfügen von unerwarteten Elementen zentral. In der Architektur sind die Entscheidungswege oft lang, beim Möbelentwerfen geht es uns vor allem ums Machen.

zwei Personen arbeiten in Metallwerkstatt

Industrielle Vergangenheit: Die Werkstatt erlaubt das Ausprobieren verschiedener Techniken.

Das Erscheinungsbild eurer Website ist sehr technisch, man findet unter anderem Pläne. Man erkennt die Arbeitsweise der Architektin, des Architekten. Kommuniziert ihr bewusst so?

NP: So denken wir über Objekte nach.

RR: Ohne dafür Werbung machen zu wollen: Wir wären auch nicht schockiert, wenn jemand einen Entwurf von uns nachbauen würde.

Diese Haltung erinnert an den italienischen Designer Enzo Mari (1932–2020) mit seinem Konzept der «autoprogettazione». Ist seine Arbeit eine Referenz für euch?

RR: Ja. Während diese Stücke bei ihm aber zum Nachbauen konzipiert sind, ist das bei uns nicht der Fall. Bei uns geht es häufig um Re-use, diese Bestandteile sind nicht immer verfügbar.

NP: Wenn wir andere Leute zu dieser Denkweise inspirieren können, ist das gut. Diese nachhaltige Entwurfspraxis möchten wir nicht für uns pachten.

Ihr geniesst als Designschaffende eine gewisse Narrenfreiheit. Wie wichtig ist das?

NP: Sehr wichtig. Unser Beruf ist schon ernst genug. Wir möchten beim Designen nicht in einen kompetitiven Stress geraten. Gut ist, wenn wir kostendeckend arbeiten können, idealerweise mit einem Plus. Aber es ist nicht das Hauptziel.

RR: In meiner Praxis als Architektin bin ich es gewohnt, bei gewissen Aspekten Amateurin zu sein und in andere Rollen zu schlüpfen. Darum fällt es uns wohl leichter, auch mal Amateurmetallbauer zu werden. Es braucht dafür ein gewisses Selbstvertrauen.

Neonring liegt auf Lochblech

Fundstücke: Rolli und Picco sind fasziniert von der Ästhetik gebrauchter Bauteile.

Hände arbeiten an einem Lochblech

Hand anlegen: Das Arbeiten mit den Händen ist für die zwei Architekturschaffenden eine willkommene Abwechslung.

Welche Rolle spielen Kurator:innen, die euren Entwürfen eine Plattform geben?

NP: Eine grosse, weil wir in der Designszene nicht so vernetzt sind, haben wir zu dieser Welt sonst keinen direkten Draht. Für uns ist das Präsentieren unserer Objekte spannend, und es bringt uns einen Schritt weiter.

RR: Die Einladungen dieser Personen sind auch insofern wichtig, als sie uns zum Entwickeln neuer Objekte anspornen. Dadurch müssen wir auch besser planen.

Beobachtet ihr in der Architekturwelt Veränderungen bezüglich der Art zu arbeiten?

RR: Ja, aber wir können noch nicht abschliessend sagen, ob diese neuen Arbeitsweisen funktionieren. Als Architektin war das für mich ein Grund, unser Büro nicht nach unseren Namen zu benennen. Ich sehe zwei gegensätzliche Tendenzen: Es gibt viele Kollektive, die durch diese Organisationsform flexibler sind. Aber dafür ist es schwieriger, finanziell erfolgreich zu sein. Und es gibt nach wie vor viele Büros, die klassisch unter ihrem Namen auftreten und in der Autorschaft die einzige Möglichkeit einer Profilierung sehen.

Habt ihr ein Projekt, das ihr als Designstudio gerne umsetzen würdet oder demnächst zeigen möchtet?

NP: Das «Tube Sofa» würden wir gerne zeigen. Wo, wissen wir noch nicht, vieles passiert bei uns spontan.

RR: Als wir die Leuchte «Slim Shady» entwickelten, haben wir «Solar Tubes» bestellt. Die sind wunderschön, sie schimmern lilablau. Das Problem ist, dass dieses Element dafür konzipiert wurde, möglichst wenig Licht abzugeben. Wir habe den Twist dafür noch nicht gefunden, das Teil so zu manipulieren, dass wir daraus etwas Tolles und Starkes machen können.

 

Produkte von Piccolli

PROFI LIT: Als eine Schreinerei beschloss, ihre Fassade aus Profilit-Glasprofilen zu erneuern, erkannte Piccolli das Potenzial des Alltagsgegenstands. Die gebrochenen Kanten und andere Unvollkommenheiten erzählen viele Geschichten und werden als Gelegenheit genutzt, Fehler hervorzuheben und sie in eine Tugend zu verwandeln.

MONO ROCK: Die Idee für die Bearbeitung des unterschätzten Designklassikers entstand, als ein Freund im Garten mit dem Stuhl hin- und herkippte. Beim «Mono Rock» ging es darum, den Schwerpunkt, den Radius, das Gewicht, die Höhe und die Stabilität des Stuhls zu verstehen. Ziel ist eine spielerische Interaktion mit der Stuhlikone.

SLIM SHADY: Bei der Reparatur einer Solarthermieanlage entdeckten sie die glänzenden, dünnen und gefalteten Metall-häute. So entstand die Idee, das Blech als Lampenschirm zu interpretieren. Auf der Rückseite reflektiert dieser das Licht, auf der Vorderseite spiegelt und verzerrt er den Raum. Von drei filigranen Halterungen an der Wand gehalten, verteilt er sein dimmbares Licht über die Oberfläche der Wand und verschwindet im Schatten. www.secondnature.ch

HOLY HALO: Kurz vor dem Abriss eines Bürogebäudes fiel den Architekten die Fläche der glänzenden Chromelemente der abgehängten Decke auf. Wenn sie zwei dieser quadratischen Deckenelemente Rücken an Rücken hielten, überlagerten sich die Reflexionen mit der Durchsichtigkeit der perforierten Oberfläche und verzerrten das Bild der Umgebung.Es entstand eine Leuchte, die ihr Aussehen je nach Tageszeit verändert.