Kunst als Raum für Möglichkeiten

Porträt Buchli/Isenschmid

Porträt von Luc Isenschmid und Piera Buchli

Luc Isenschmid und Piera Buchli sind das Künstler:innenduo Buchli/Isenschmid


Piera Buchli hat Keramikdesign in Bern studiert, Luc Isenschmid hat nach einer Mediamatiker-Lehre die Passerelle gemacht und sein Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg absolviert. Heute lebt und arbeitet das Künstler:innenduo in Versam im Safiental. Im Interview geben sie Einblick in ihren Arbeitsprozess und ihre Projekte.

An der Design am Rhein habt ihr ein Projekt aus recycelten Ziegeln gezeigt. Wie ist dieses entstanden?

PB/LI: Genau, wir haben auf dem Areal der Ziegelei Landquart den riesigen Bauschutthügel entdeckt und uns gefragt: können wir daraus etwas machen? Wir haben dann einfach mal einiges an Material eingeladen und begannen, es zu zerlegen und wieder neu zusammenzuschmelzen. Dafür haben wir einen Tag lang eine Steinfräse ausgeliehen und die genormten Backsteine seriell in ganz unterschiedliche Grössen zersägt, einmal längs, einmal quer, und so weiter. So entstanden Gitter, Platten, oder auch kleine Podeste oder Treppen. Manche haben wir so gelassen, andere Abschnitte haben wir kombiniert oder aufgetürmt.

Generell gehen wir gerne so vor, dass wir erst ein Ausgangsmaterial finden und dann beginnen, damit herumzuspielen. Zum Beispiel haben wir bei den Ziegelsteinen festgestellt, dass der rohe Ton durch das Brennen bei hohen Temperaturen die Farbe und Oberfläche verändert – das Rot wird zu einem dunklen, satten Braun und die Oberfläche wird sehr dicht. Sie erhält ganz ohne Glasur einen Glanz und ist so gut im Alltag verwendbar. Während des Arbeitsprozesses hat uns ein Koch für eine Kollaboration angefragt. Wir haben ihn eingeladen und ihm unsere Arbeit mit den Ziegeln gezeigt, und so haben wir gemeinsam ein Produkt entwickelt, dass an der Grenze zwischen Gebrauchsgegenstand und Kunst steht.

Ein grosser Hügel mit zerbrochenen roten Backsteinen und Ziegeln

Dieser Bauschutthügel lieferte das Rohmaterial für das Projekt «Ziegel».

Ist, was ihr macht, eigentlich Kunst oder Design?

PB/LI: Wir sehen uns als Künstler:innen. Kunst hat nicht zwingend eine Funktion, Design hingegen soll eine haben. Wenn wir unsere Arbeit also als Kunst ansehen, können wir freier herumspielen, sind weniger Gebrauchsorientiert. Die Reproduzierbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Vermarktung spielt eine wichtige Rolle bei Design – der Prozess und die daraus resultierende Kreation muss irgendwie lohnenswert sein. Kunst hingegen hat ganz andere Motivationsgründe, es muss nichts verkauft werden. Wir mögen die Freiheit, die uns der Kunstbegriff gibt. Manchmal entstehen dann Produkte aus unseren künstlerischen Prozessen, aber es ist nie die Absicht, eine Serie zu produzieren.

«Ziegel» (2025-fortlaufend), Irdengut Ton, hochgebrannt, Dimensionen 20-30 cm 


«Ziegel» (2025-fortlaufend), Irdengut Ton, hochgebrannt, Dimensionen 20-30 cm 


«Ziegel» (2025-fortlaufend), Irdengut Ton, hochgebrannt, Dimensionen 20-30 cm 


Wieso hat es euch nach der Ausbildung nach Versam verschlagen?

PB: Ich bin in Haldenstein bei Chur aufgewachsen und durch Bekannte auf das Haus in Versam aufmerksam geworden. Wir haben den Besitzer kennengelernt und haben ihm von unserer Idee erzählt. Es ist ein sehr schönes altes Haus und bei uns kam die Lust, unser Schaffen mit der Gestaltung eines solchen Ortes zu verbinden. Also begannen wir, nach Leuten zu suchen, die den Ort mit uns beleben wollten. Wir sahen grosses Potenzial darin, nach der Ausbildung hierhin zu ziehen, denn wenn man in der Stadt bleibt, zahlt man oft sehr teure Mieten für Wohnungen und Atelierräume. Hier haben wir das Privileg, für wenig Geld viel Zeit und Raum zu haben, wir sind nicht unter Druck, Aufträge anzunehmen – das ist sehr befreiend. Wir wohnen hier zu sechst und haben zudem ein Kunstresidenzprogramm aufgebaut. Wir wollten uns – trotz der abgelegenen Lage – nicht zu sehr abschotten und eine Arbeitsatmosphäre kreieren, die motiviert und Austausch ermöglicht.

«Wir mögen die Freiheit, die uns der Kunstbegriff gibt.»  

Ihr greift in eurem Schaffen gerne Themen aus der Umgebung auf. Wie inspiriert euch das Safiental?

PB/LI: Landwirtschaft ist sicher ein Thema, das hier omnipräsent ist. Dadurch wurden die ganzen Materialien der Landwirtschaft zum Interesse für uns. Zum Beispiel haben wir für eine Kunstausstellung im Wallis Kuhmist in Schoggihasenformen gegossen und die Hasen dann zurück in die Natur gepflanzt, wo sie über Monate langsam zerfielen. Auch mit Butter haben wir uns schon auseinandergesetzt, er ist ein wertvoller Energiespeicher und war früher ein teures Produkt, das sich in diesem Tal kaum jemand leisten konnte. In diesem Sinne ist er auch Speicher von anderen Werten und Traditionen. Oder Licht als «Material» haben wir schon aufgegriffen, weil es im Winter hier für eine gewisse Zeit ganz verschwindet.

Auch unser Residenzprogramm ist für uns eine Art Kunstprojekt, das sich mit dem Tal befasst. Es ist ein Gefäss oder ein Konzept, das fragt: Was ist der Rahmen für diejenige, die zu uns kommen? Wie gehen wir mit der Landschaft um? Führen wir sie daran heran, oder ist das spontan von den einzelnen Personen gesteuert? Und wie können wir das Programm in den eigenen vier Wänden, aber auch im Tal platzieren? Zusammengefasst: Was entsteht durch das Residenzprogramm für eine Situation und wie modifizieren wir diese? Für uns muss bei Kunst nicht zwangsläufig ein Produkt entstehen. Und uns interessiert auch nicht nur der/die Hauptakteur:in, sondern wir integrieren auch andere Personen wie zum Beispiel die Anwohner:innen hier im Tal.

Zum Beispiel haben wir in unserem Projekt «Schriftliche Vereinbarung» zwei Wochen lang hier im Tal bei einem Landwirten gearbeitet. Die einzige Abmachung war, dass er uns nach den zwei Wochen einen Vertrag unterschreiben muss, dass wir diese Arbeit auch wirklich geleistet haben. Zuvor liessen wir den Vertrag vom Bündner Kunstmuseum unterschreiben, dass das Dokument bei ihnen ausgestellt wird. Wir haben unsere Arbeit sonst auf keine Weise dokumentiert. Das hat natürlich irritiert, bei den Museumsbesucher:innen und den Anwohner:innen im Tal zugleich – Was hat man von einem solchen Projekt? Was ist dabei passiert? Zwischenmenschlich ist hier im Tal ganz viel geschehen, aber man kann das nicht wirklich festhalten. Wir wollten zwei verschiedene Welten – die Landwirtschaft und die Kunst – miteinander verbinden, die sonst nicht viel Berührungspunkte haben. Auch in der Jury der Jahresausstellung war das Projekt sehr ambivalent, viele haben hinterfragt, ob es Kunst ist. Aber genau darum ging es uns, zu hinterfragen, ob man immer Produkte produzieren muss, oder ob Kunst auch ein Raum für andere Möglichkeiten sein kann.

Die «Schisshasen» sind 20-40cm grosse Hasen, gegossen aus Kuhmist, die von Buchli/Isenschmid im Rahmen der viermonatigen Twingi-Ausstellung 2024 in der Natur platziert wurden und langsam zerfielen. Über 200 Bilder sind von Besucher:innen von diesem Zerfallsprozess eingegangen.

Wie verläuft eure Zusammenarbeit?

Wichtig ist für uns, dass wir immer wieder zusammenkommen und die nächsten Schritte besprechen. Vieles entsteht beim Ausprobieren und Herumspielen. Gewisse Dinge legen wir auch auf die Seite und greifen sie später wieder auf. Wie zum Beispiel beim Misthasenprojekt – wir haben die Leute aufgefordert, die Hasen zu suchen und uns Fotos davon zu schicken. So ist eine grosse Sammlung an Bildern zu der Zersetzung der Hasen entstanden. Die Ausstellung ist für uns nicht immer der Endpunkt eines Projekts.

Bei der Keramik ist sicher Piera diejenige mit der Expertise, da ich nicht von diesem Handwerk herkomme. Aber manchmal ist diese naive Aussenperspektive auch gut, denn so probieren wir auch Dinge aus, die man im Handwerk normalerweise nicht macht.

Generell setzen wir uns gerne mit Dingen auseinander, die sonst nicht im Fokus stehen – das Unscheinbare, das oft nicht beachtet wird aber für uns irgendwie «etwas hat». So zum Beispiel auch dieses Haus, das jahrelang leer Stand und in dem niemand wohnen wollte.

Vertrag auf Papier in einem Museum in Glasbox ausgestellt

Schriftliche Vereinbarung #1 (2024), DIN A4 Druckerpapier 80 g/m2, Ordner 

Schriftlicher Vertrag

Ist das auch Kunst?

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